■ Nach den verlorenen Landtagswahlen versuchen viele Grünen zur Tagesordnung überzugehen. Das Problem sei bloß eines der Vermittlung, und der Osten sowieso kein Terrain für Umweltschützer. Tatsächlich jedoch entsprechen die Verluste in Brandenburg dem bundesweiten Trend. Und: Linke und rechte Grüne würden heute kaum mehr eine gemeinsame Partei gründen. Zu unterschiedlich sind ihre politischen Vorstellungen: Bündnisgrüne: Minus 40 Prozent, kein Profil
In ihrer Jugend hat Christine Scheel Bäume mit Kreidekreuzen bemalt, um vor dem Waldsterben zu warnen. Heute sitzt sie für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und hört vom Freundeskreis ihrer 19jährigen Tochter, dass der mit solchen Aktionen nicht viel anfangen kann. Jüngere Wählerschichten lassen sich nicht mehr allein mit den traditionellen grünen Themen begeistern, auch dann nicht, wenn sie Umweltpolitik für wichtig halten, glaubt die 42-jährige Finanzexpertin: „Diese Bewegung gibt es so nicht mehr.“
Was kann den Grünen dann zu Stimmen verhelfen? Ihre Spitzenpolitiker kommentieren Wahldebakel inzwischen ebenso routiniert wie seinerzeit ihre Vorgänger den beständig wachsenden Erfolg in den Gründerjahren der Partei. Auf die jeweils ganz besonderen Verhältnisse in bestimmten Landesverbänden wird nach Wahlniederlagen regelmäßig hingewiesen und außerdem stets ein „Vermittlungsproblem“ für die Verluste verantwortlich gemacht.
„Diese Regierung hat es noch nicht geschafft, das, was sie tut, der Öffentlichkeit bekannt zu machen,“ erklärt die parlamentarische Geschäftsführerin der Bündnisgrünen, Kirstin Heyne. Das klingt seltsam vertraut. Wenn die Leute eine Partei nicht mehr wählen, dann liegt es aus Sicht aller politischen Lager stets an demselben Grund: Die Bevölkerung versteht nicht, was für eine gute Politik diese Partei macht. Es müsste ihnen einfach nur mal jemand richtig erklären. Mit dieser Botschaft hat die CDU den gesamten letzten Bundestagswahlkampf bestritten. Allerdings erfolglos.
Bündnis 90/Die Grünen wollen nun eine Arbeitsgruppe gründen. Sie soll „die Kommunikationsstrategien“ verbessern, teilte die Parteivorsitzende Antje Radcke mit. Das mag in einer Situation helfen, in der die Partei seit Monaten ohne Pressesprecher dasteht und kein bündnisgrünes Kabinettsmitglied am Tag nach der Wahlniederlage Zeit für die Beratungen des parteiinternen Koalitionsausschusses fand. Mit solchen Beschlüssen allein aber lässt sich die wachsende Sorge in den eigenen Reihen nicht mehr beschwichtigen.
Die Liste derer war lang, die sich auf der Fraktionssitzung am Dienstag zu den Wahlniederlagen äußern wollten. Umweltminister Jürgen Trittin rechnete den Abgeordneten vor, dass im Blick auf die tatsächlich abgegebenen Stimmen das magere Ergebnis von 1,9 Prozent in Brandenburg dem Bundesdurchschnitt entspreche. „Die Grünen haben dort 40 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler verloren.“ Bei den Europawahlen seien es sogar 48,5 Prozent gewesen. „Die wählen auch nicht jemand anders, sondern die bleiben zu Hause“, sagte Trittin gegenüber der taz.
Joschka Fischer versuchte, den Kampfesmut in den eigenen Reihen zu stärken. Bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein müssten unbedingt gute Ergebnisse erzielt werden, beschwor der Außenminister seine Parteifreunde – ein Appell, der bei manchen mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde: „Das heißt, alles andere ist heute verloren gegeben worden“, meinte der ostdeutsche Abgeordnete Werner Schulz. Alles andere? Ach ja, in Thüringen und Sachsen wird auch noch gewählt.
„Ich bin traurig darüber, dass wir die Chance der Vereinigung nicht genutzt haben“, sagt Schulz. Ohne den Zusammenschluss mit dem Bündnis 90 wären die Grünen seiner Ansicht nach bei den Wahlen 1994 nicht in den Bundestag gekommen. „Sie sind 1990 im Westen gescheitert, und sie haben sich bis heute nicht stabilisiert.“ Die Stabilität der Partei halten auch andere für gefährdet, wie sich in Gesprächen am Rande der Fraktionssitzung zeigte.
Christian Sterzing sieht einen „generellen Trend nach unten“. Auch er meint, dass „unsere alten Kernthemen für viele Junge nicht mehr reichen“, aber zugleich steht er dem Ruf nach einer „neuen Identität“ misstrauisch gegenüber: „Man kann die Wurzeln nicht einfach kappen.“ Volker Beck warnt: „Wir haben ganz deutlich ein Profilproblem, an dem wir arbeiten müssen. Das ist mehr als eine reine Vermittlungsfrage.“
Wie kann das Profil einer Partei denn aussehen, deren alte Symbolik ihre verbindende Kraft eingebüßt hat? Christine Scheel will die „Nachhaltigkeit“, die Grüne stets im Umweltbereich gefordert haben, auf andere Politikfelder übertragen: „Es geht doch auch bei der Konsolidierung des Haushalts oder bei der Rentenreform um die Verantwortung für die kommenden Generationen.“ Die Ansicht bleibt nicht unwidersprochen. „Naturbegriffe im engeren Sinn lassen sich nicht einfach auf gesellschaftliche Zusammenhänge übertragen“, meint Fraktionskollegin Annelie Buntenbach. „Begrifflichkeiten, mit denen man versucht, Brücken zu schlagen, sind nicht bei jedem Thema tragfähig.“
Es ist nicht die einzige Frage, in der die Arbeitsmarktpolitikerin Buntenbach von der Parteilinken und die Finanzexpertin Scheel, die zum realpolitischen Flügel gehört, unterschiedlicher Meinung sind. Christine Scheel bedauert, dass es bisher nicht gelungen sei, den an die Bundesregierung gerichteten, „unberechtigten Vorwurf der sozialen Schieflage zu entkräften.“ Annelie Buntenbach gehört zu denen, die diesen Vorwurf erheben.
„Das ist nicht einfach ein Strömungsstreit“, meint sie. „Es sind schon unterschiedliche Politikentwürfe. Die Schere geht immer weiter auseinander. Es gebe bei Teilen der Partei den Versuch, die Grünen rechts von der SPD zu profilieren, um ein Potential auf den Spuren der FDP erreichen zu können: „Ich sage dagegen eher: Spätestens seit dem Weggang von Oskar Lafontaine ist der Platz links von der Schröder-SPD für uns zu erobern.“
Warum sind Annelie Buntenbach und Christine Scheel noch immer in derselben Partei? Keiner fällt es ganz leicht, die Frage zu beantworten. „Heute würden wir uns wahrscheinlich nicht zusammensetzen und gemeinsam eine neue Partei gründen“, räumt Annelie Buntenbach schließlich zögernd ein. Christine Scheel sagt auf die Frage nach längerem Nachdenken: „Es verbindet uns der Weg.“ Der künftige oder der zurückgelegte? Das bleibt offen.
Nach den Wahlen ist immer auch vor den Wahlen. Wenigstens die Grünen in Köln haben derzeit Grund zur Hoffnung. Seit der SPD-Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters wegen dubioser Machenschaften aus dem Rennen flog und auch der CDU-Bewerber ins Zwielicht geraten ist, sind die Aussichten auf Erfolg für die grüne Kommunalpolitikerin Anne Lütkes steil gestiegen. Auf Hilfe aus Berlin möchten die Kölner Bündnisgrünen derzeit aber wohl lieber verzichten. Jedenfalls haben sie nicht darum gebeten. Bettina Gaus, Berlin
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