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■  Er verkaufte sich nicht als gekränkter Ruheständler: Oskar Lafontaine gelang bei der Vorstellung seines Buches „Das Herz schlägt links“ auf der Buchmesse ein Auftritt erster Klasse. Er setzte auf Inhalte. Dass es das letzte Mal gewesen sein soll, kann man einfach nicht glaubenLafontaines furioser Auftritt

Bei weittragenden Ereignissen sollte man genau sein. Der Auftritt Oskar Lafontaines vor der versammelten Presse gestern auf der Frankfurter Buchmesse war ein solches Ereignis – was immer man von Rücktritt, Buchveröffentlichung, Abrechnung und dergleichen halten mag. Um 11.17 Uhr am gestrigen Dienstag, 13 Minuten zu früh, betrat Oskar Lafontaine den Saal „Harmonie“ (heißt wirklich so) im Frankfurter Kongresscentrum. Um 11.37 Uhr erwähnt er zum ersten Mal den Namen Schröder, allerdings nur im Zusammenhang mit dem viel beschworenen Schröder/Blair-Papier; den Namen des Bundeskanzlers wird der Ex-Finanzminister wie schon bei seinem Auftritt während der ARD-Talkshow „Sabine Christiansen“ am vergangenen Sonntag die ganze Veranstaltung nicht in den Mund nehmen.

Ab 11.41 Uhr hat er nach Anfangsnervositäten den Saal im Griff. Und es ist tatsächlich aufregend, ihm bei seinem Auftritt zuzusehen. Anfangs musste er noch in vielen kleinen Schlucken viel Wasser trinken, ganz sicher ein Zeichen der Anspannung. Über die Verfrühung der Veranstaltung macht er einen allenfalls müden Witz: „Sie wissen doch, wer zu früh kommt, den belohnt das Leben.“ Seine Bewegungen wirkten zunächst wie angelernt, beinahe schüchtern unterstreicht er seine Ausführungen mit der linken Hand. Aber er steigert sich.

Die Bewegungen werden ausladender, die Verlagsvertreter, die ihn rechts und links auf dem Podium flankieren, werden gelegentlich fast weggewischt.

Mit jeder Minute scheint Lafontaine zu wachsen. Und auch die Formeln funktionieren: „Der Dritte Weg ist ein Holzweg“ – „Wir Sozialdemokraten können uns nicht mit der Arbeitslosigkeit abfinden“ – „Die Anpassung an ökonomische Zwänge ist ein Verzicht auf die Werte des europäischen Humanismus“. Wie an der Schnur aufgereiht perlen sie aus seinem Mund, die zitierfähigen Aussagen, die ein Politiker im Dutzend billiger absondern muss, um sich Gehör zu verschaffen. Eines muss man ihm lassen: Sein Handwerk hat Oskar Lafontaine auch in den sechs Monaten, die er nun als schriftstellernder Privatier verbracht hat, nicht verlernt. Ein furioser Auftritt, gar keine Frage.

Damit hat die diesjährige Frankfurter Buchmesse ihr erstes Highlight, denn, man muss es sich förmlich ins Gedächtnis rufen, eigentlich ist es ja nur eine Buchpräsentation, an der man da teilnimmt; eine Art Veranstaltung, deren Anzahl in diesen Tagen in der Stadt der Banken und der Bücher in die Hunderte gehen dürfte. Aber schon bald wird mehr draus: eine Oskar-Lafontaine-Performance – irgendwo angesiedelt zwischen dozierendem Vortrag und Parteitagsrede. Und wer vorher gedacht oder sogar gehofft hat, dem letzten großen öffentlichen Auftritt dieses Vollblutpolitikers beizuwohnen, der ist sich hinterher nicht mehr sicher. Er wirkte eben ziemlich wach und begann seinen eigenen Auftritt zunehmend zu genießen, dieser Ex-Parteivorsitzende und Ex-Finanzminister. Schelmisch lächelte er über geglückte Formulierungen. Und seine ganze, in dreißig Jahren Parteikarriere erworbene Routine, unliebsame Fragen auszukontern, setzte er geschickt ein.

Wäre in einer Fernsehserie die Rolle eines ebenso leidenschaftlichen wie mit allen Wassern gewaschenen Politikers zu besetzen, kann man den Casting-Büros nur empfehlen, einmal in Saarbrücken nachzufragen. Dass dieser Mann einmal tatsächlich in den politischen Ruhestand gehen wird, das ist nach seinem gestrigen Auftritt schwer zu glauben, so sehr Oskar Lafontaine auch beteuert, er sei derzeit nun „wirklich nicht auf Jobsuche“.

Immerhin: Dass er in Zukunft in „angemessenem Umfang an Parteilveranstaltungen“ teilzunehmen gedenke, diesen Satz hat Lafontaine auch ausdrücklich gesagt an diesem denkwürdigen Mittwochvormittag. Und auch eine Teilnahme an dem SPD-Parteitag im Dezember hat er keineswegs ausgeschlossen. Auch wenn es nicht wie eine Drohung klingen sollte: Man kann sich gut vorstellen, wie dieser Satz manchem Mitarbeiter des Berliner Willy-Brandt-Hauses gerade in den Ohren klingelt.

An spektakulären Auftritten ist die Karriere des Oskar Lafontaine nicht eben arm. Um das zu behaupten, muss man gar nicht mal auf den schon beinahe legendären Putsch Lafontaines gegen den damaligen Parteivorsitzenden Rudolf Scharping auf dem Mannheimer Parteitag 1995 verweisen. Sein Talent, eine große Zuhörerschar unter Kontrolle zu bringen, hat Lafontaine in vielen Wahlveranstaltungen bewiesen. Wie hat er es nun in Frankfurt wieder geschafft? Im Grunde durch simple Verblüffung.

Jedem Anwurf, hier betreibe jemand eine billige Abrechnung mit einem siegreichen Kontrahenten, Gerhard Schröder nämlich, hat Lafontaine vor vornherein den Wind aus den Segeln genommen, indem er sich ausschließlich auf die Ebene einer sachlichen Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Inhalten der SPD-Politik begab. Im Wesentlichen geht es um den Vorwurf, die gegenwärtige SPD-Regierung gebe das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft auf, und es geht um die These, dass die Weltfinanzmärkte reguliert werden müssen und können.

Wie auch immer man zu diesen Punkten steht, in der gegenwärtigen publizistischen Auseinandersetzung hat sich Lafontaine bei der Buchmessen-Veranstaltung äußerst instinktsicher und geschickt verhalten. Er verkauft sich nicht als beleidigter Rächer oder gekränkter Ruheständler – Rollen, in denen er absolut keine Punkte sammeln kann. Sondern er verkauft sich als der bessere Sozialdemokrat. Zumindest ob er ein guter Autor ist, das wird man nun nachprüfen können. Dirk Knipphals

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