buchmessern: Kokette Warnung vor dem Bestseller
■ Marcel Reich-Ranicki ist der eigentliche Star des Bücherherbstes. Und genießt es
Auch immer wieder interessant: sich einmal zu Messezeiten in die Bar irgendeines beliebigen Frankfurter Hotels zu setzen. Ein wenig Glück vorausgesetzt, lässt sich dort erleben, dass das Buch, wie es so schön heißt, nicht nur ein Kulturgut, sondern auch eine Ware ist. Welches Hotel man wählt, ist dabei im Grunde gleichgültig, sie alle sind randvoll mit Büchermenschen. Also warum nicht gleich das beste am Platze wählen, den „Frankfurter Hof“? Bisschen teuer, dafür trifft man im Minutentakt auf bekannte Gesichter und kann sich etwa überlegen, was sich Dieter Hildebrandt, Mathias Döpfner und György Konrád, die da in den Sitzgruppen weilen, wohl zu sagen hätten, würden sie miteinander reden. Und in der zentralen Sitzgruppe thront eine imposante Dame, deren stahlgrau aufgetürmte Haarpracht auf jedem Seniorenskatabend Angst und Schrecken verbreiten würde. Und sie sagt, keinen Widerspruch duldend: „I am a literary agent. I'm worth 25 percent.“
Aber eigentlich ist das die Debatte von vor zwei Jahren. Da wurden die Vor- und Nachteile des Literaturagententums diskutiert, die sich auch in Deutschland als Vermittlungsinstanz zwischen Autoren und Verlage geschoben hatten. Im vergangenen Jahr ging es um die Konzentrationsprozesse im deutschen Verlagswesen; eifrig wurde spekuliert, welchen unabhängigen Verleger die großen Konzerne Bertelsmann oder Holtzbrinck noch aufkaufen würden. Und dieses Jahr? An die Literaturagenten hat man sich gewöhnt. Der Umbau unserer Verlagslandschaft geht munter weiter, aber irgendwie scheint das niemanden zu interessieren. Stattdessen ist man, kaum zu glauben, versucht, die These zu wagen, dies sei mal wieder eine Messe, die sich tatsächlich um die Schriftsteller dreht.
Auch wenn Arnold Stadler Erfahrungen machen musste, die eher für die verbreitete These von der zunehmenden Marginalisierung des Autors in unserer Gesellschaft sprechen würden. Bei einem der zentralen Empfänge der Messe – Wein, Schnittchen und ein unglaublicher Lärmpegel durch die allseitigen Gespräche – wäre er beinahe an der Tür abgewiesen worden. Laut und fest musste sein Lektor verkünden: „Aber das ist doch der Büchnerpreisträger!“ Erst dann ließ man ihn hinein.
Reich-Ranicki, dem weltberühmtesten unserer Kritiker, wäre das natürlich nicht passiert. Ihm, der zeit seines Lebens immer umstritten gewesen war, widerfährt auf dieser Messe etwas, das er wohl selbst kaum für möglich gehalten hätte: Er wird hofiert wie eine Diva. Und tatsächlich hatte sein Auftritt beim Empfang seines Verlages DVA etwas wirklich Beeindruckendes. 250.000-mal wurden seine Erinnerungen bislang verkauft, und man merkte Reich-Ranicki bei seiner kleinen, improvisierten Rede an, wie sehr ihn das gefreut hat.
Verkaufszahlen über denen von Grass, Handke oder Walser! Niemand wird auch nur auf die Idee kommen, behaupten zu wollen, Reich-Ranickis Ego sei bislang klein gewesen. Nun wird es wohl grenzenlos sein. Und warum auch nicht? Nach dem gewaltigen Erfolg seines Erinnerungsbuchs kann man allzu leicht vergessen, wie viel Reich-Ranicki hier riskiert hat. Wäre das Buch misslungen, wäre ihm Hohn und Spott der Branche sicher gewesen. Aber nun: 150 Besprechungen, alle positiv; 1.300 Neugierige bei einer Ranicki-Lesung im Vorfeld der Messe – ein Trubel den Reich-Ranicki rein zu genießen scheint. Es ist schon unverhohlene Koketterie, wenn er beim Empfang die Anwesenden vor den Folgen des Erfolges mahnt: „Ich muss sie warnen: Schreiben Sie nie einen Bestseller.“ In Wirklichkeit natürlich fühlt er sich als der eigentliche Sieger dieses Bücherherbstes. Und seine Entertainerqualitäten erreichen immer neue Rekordstände.
Und der Nobelpreisträger? Auch Günter Grass war natürlich in Frankfurt. Beziehungsweise, er soll da gewesen sein. Beschwören kann ich es allerdings nicht. Immerhin aber gab es doch gelegentlich recht deutliche Hinweise: große Menschentrauben, aus deren Zentrum ab und an für Sekunden der markante Schnauzbart herauslugte. Dirk Knipphals
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