: Cool und selbstverständlich
■ Einer der besten Hongkong-Filme seit dem Hand-Over: „Portland Street Blues“ auf den lesbisch-schwulen Filmtagen
Selbstbewusste Frauenfiguren gibt es im Hongkonger Genre-Kino zuhauf. Und seit Angela Mao in den frühen 70er Jahren wie wild um sich trat, kennt man sie auch im Westen: Handkanten-Diven wie Michelle Yeoh, Maggie Cheung oder – in atembraubend betörenden Trans-Gender-Inkarnationen – Brigitte Lin.
Wie jede Kinematografie besitzt auch die kantonesische einen nicht zu vernachlässigenden Subtext der Homosexualitäten. Stanley Kwan widmete ihm kürzlich mit Ying & Yang: Gender in Chinese Cinema eine bis in Shanghaier Stummfilmtage zurückgehende filmhistorische Dokumentation. Offen homosexuelle Themen finden sich natürlich seltener; in Melodramen wie Wongs Happy Together oder Kwans Hold You Tight etwa, der am Freitag endlich zu sehen ist.
Raymond Yips Gangland-Drama Portland Street Blues kommt vor diesem Hintergrund einer kleinen Sensation gleich – und ist zudem neben Full Alert oder The Longest Nite schlicht eine der besten Post-Hand-Over-Produktionen bisher. Portland Street Blues erzählt sich zuallererst einmal als die Geschichte der von Sandra Ng ungeheuer nuancenreich verkörperten „Sister Thirteen“: einer offen lesbischen Triadenchefin, die sich zwischen Lug und Trug, Liebe, Gewalt, Verrat und all dem anderen Genre-Kappes behaupten muss.
Zweierlei überrascht an diesem ganz sicher nicht primär auf ein lesbisches Publikum zugeschnittenen Thriller: Die Selbstverständlichkeit mit der Portland Street Blues nicht-heterosexuelles Begehren im Herzen eines HK-Actionfilms installiert – und die psychologisch-emotionale Tiefe, die er dabei seiner Hauptfigur zugesteht. Vom exotisierenden Voyeurismus der „Category III“-Softpornos a la Sex & Zen ist Raymond Yip genauso entfernt wie von psychologischen Erklärungsversuchen der Homosexualität seiner Heldin.
Ansonsten stehen hier alle Zeichen auf großes Gangster-Kino in der Tradition von Young & Dangerous oder GoodFellas: eine bis in Kindertage zurückgehende epische Struktur, Flashbacks und Flashbacks-in-den-Flashbacks, Dialoge und vor allem Schauspieler statt Shoot-Outs. Portland Street Blues entwickelt dadurch einen beträchtlichen narrativen und identifikatorischen Sog, obgleich sich hin und wieder auch Verdachtsmomente kleinerer Zugeständnisse an ein Heteropublikum einschleichen, z.B. als Mimikry heterosexueller Romantik im Verhältnis der Sister Thirteen zu ihrem platonischen Boxer-Freund Coke (Alex Fong).
Dabei kommen allerdings nie grundsätzliche Zweifel auf, dass es vielleicht doch nicht okay gehen könnte, Lesbe und Heldin eines Actionfilms zu sein. Und die Zeiten, in denen Filme nicht kontrovers sein durften, versichern die Festival-Macherinnen, sind zum Glück schon lange vorbei. Eine so coole lesbische Heldin, war aber bisher selten zu bestaunen.
Tobias Nagl
heute, Neues Cinema, 22.30 Uhr
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