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Hüter der Weltanschauung

Was ist soziale Gerechtigkeit? Eine Waschmaschine und ein Kühlschrank für jeden, sagt Detlev von Larcher, Sprecher der SPD-Linken. Nur, dass daran keiner mehr glaubt – nicht einmal die Genossen von der SPD  ■   Von Heike Haarhoff

Nordrhein-Westfalens Kommunen schwarz. Berlin auf 22,4, Sachsen auf schmachvolle 10,7 Prozent gefallen. In Brandenburg die absolute Mehrheit, in Thüringen die Regierungsbeteiligung futsch. Und das Saarland an den christdemokratischen Feind verloren. Vergnügt sitzt Detlev von Larcher, SPD-Mitglied seit 1969, in seinem Wohnzimmersessel, die Beine leger übereinander geschlagen, der oberste Hemdknopf geöffnet. „Im Moment habe ich ein positives Gefühl“, sagt er, bemerkt die ungläubigen Blicke, lacht auf, fügt hinzu: „Der Tiefpunkt ist erreicht; ich bin sicher, dass der Schröder sich jetzt bewegt.“

Weder triumphierend noch hämisch klingt das, kein bisschen ironisch und schon gar nicht kampfeslustig. Es ist das schlichte Feststellen einer Notwendigkeit: Der Bundeskanzler muss, will die Regierung nach nur einem Jahr an der Macht nicht noch weiter absacken, sich bewegen. Hin zu Detlev von Larcher und seinen Forderungen nach kürzerer Arbeitszeit, gerechterer Vermögensverteilung und auch mal Ausgeben statt immer nur Sparen. Hin zur SPD-Linken also, deren Sprecher von Larcher im Bundestag ist.

Wer mit neoliberalen deutsch-britischen Positionspapieren, Rentenkürzungen und Sparpaketen den Eindruck vermittele, Politik gegen den kleinen Mann zu machen, werde die Landtagswahlen verlieren, hatte die Linke prophezeit und Recht behalten. Aber deswegen jetzt feurige Pamphlete schreiben, Drohungen an die Parteispitze aussprechen? Außer kritischen Worten und ein paar mauligen Unterschriftensammlungen für „mehr soziale Gerechtigkeit“ hat die SPD-Linke um Michael Müller, Gernot Erler, Sigrid Skarpelis-Sperk und von Larcher bislang wenig verlauten lassen. Im Gegenteil: Wenn der Bundestag Mitte November das Sparpaket beschließen soll, gelten die Stimmen der SPD-Fraktion als sicher. Auch die des ewigen Stänkerers von Larcher: „Ich bin sicher, dass wir einen gemeinsamen Kurs finden.“

Vielleicht ist Weyhe, diese zersiedelte Einfamilienhausidylle in der südbremischen Marsch, auch nicht der Ort, von dem aus Revolutionen ihren Lauf nehmen. Ein Job an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bremen und die Überzeugung, dass seine drei Kinder besser auf dem Land aufwachsen, haben Detlev von Larcher hierher verschlagen.

Was ist soziale Gerechtigkeit?

Sein Blick sucht das geräumige Wohnzimmer ab. Da ist das Bücherregal mit dem Neuen Brockhaus, Romanen und den Werken von Rosa Luxemburg und Karl Marx, teils arg zerlesen. Mit der stummen Autorität einer Ahnengalerie stauben sie dort vor sich hin, während ihr Besitzer am Couchtisch erklärt: „Ich habe schon immer gefunden, dass Arbeit sich soweit lohnen muss, dass man an den normalen Konsumgütern teilhaben kann.“ In jedem Fall aber, sagt er, „muss jeder eine Waschmaschine und einen Kühlschrank besitzen, das habe ich schon vor 30 Jahren gefordert“. Dieses Jahr ist er 62 geworden und eine weitere Erkenntnis ist hinzugekommen: „Wichtig ist, dass jeder so leben kann, wie er will.“

Er führt hinaus. Seine Frau hat einen schmucken bayerischen Bauerngarten angelegt; sein ganzer Stolz ist die Wildkräuterwiese. Beim Wiederbetreten der Wohnung stehen Filzpantoffeln in verschiedenen Größen für die Besucher bereit. Detlev von Larcher hat viel von dem erreicht, was er vom Leben wollte.

Und auch deswegen wird eine Kurskorrektur vom Kanzler ausgehen müssen: Der Sprecher der Linken jedenfalls sieht nicht so aus, als sei derzeit irgendein Impuls von ihm zu erwarten. Geschweige denn eine Antwort auf die Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, jetzt mal in der eigenen Partei auf den Putz zu hauen.

Er guckt, als sei ihm das eher lästig. Die ganze Debatte wäre doch gar nicht nötig. Alles könnte so schön friedlich sein unter Sozialdemokraten. Detlev von Larcher jedenfalls geht es nicht um Machtspielchen oder darum, einen Richtungsstreit zu gewinnen. Seine Karriere ist in seinem Alter und als Sprecher der Linken im Bundestag endlich. Er weiß das. 1970, das Jahr, in dem es Detlev von Larcher gelang, einen Göttinger Juso-Vorsitzenden und Rechtsabweichler namens Gerhard Schröder zu stürzen, liegt lange zurück. Und die politischen Mehrheiten haben sich seitdem selbst innerhalb der SPD geändert. „Die Sozialdemokratie und den Sozialstaat gegen die Sozialdemokratie und die Regierung zu verteidigen, könnte selbst eine noch so starke Parteilinke nicht leisten“, schrieb er im Sommer als Antwort auf das Schröder/Blair-Papier. Mittlerweile sagt er nur noch: „Es würde reichen, sich einfach an das zu halten, was im SPD-Grundsatzprogramm und im Koalitionsvertrag steht.“ Stattdessen wird ihm eine Diskussion um eine Neupositionierung der Partei aufgezwungen, die er für überflüssig hält. Schließlich hat sich seine Welt nicht so stark verändert, wie manche behaupten.

Detlev von Larcher trat in die SPD ein, „nicht wegen eines bestimmten persönlichen Erlebnisses, sondern weil ich ein bestimmtes Menschenbild hatte, da ging es um Chancengleichheit und die Frage des Ausgleichs“. Und nun wird ausgerechnet daran gekrittelt. Von „Generation Berlin, oder wie die sich jetzt nennen“. Er kann damit nichts anfangen. Schon gar nichts mit Sprüchen, wie sie junge Abgeordnete, neuerdings auch solche, die sich zur SPD-Linken zählen, von sich geben. Nina Hauer etwa stichelte unlängst: „Die Leute finden Wettbewerb und Markt positiv, und dann muss man sich als Linke fragen: will man sich ändern oder mit der Wahrheit sterben?“ Da wird er bissig: „Auch ich habe von der Forderung Abstand genommen, alle Schlüsselindustrien zu verstaatlichen.“ Dann nachdenklich: „Was wir brauchen, ist eine Debatte über die Notwendigkeit des Zusammenhalts der Gesellschaft.“ Er spricht die Worte so langsam, dass auch Begriffsstutzige sie sich hinter die Ohren schreiben können. Soziale Gerechtigkeit, auch hier. Weil das „Gefühl der sozialen Verantwortung für den Mitmenschen“ abhanden gekommen sei, fühlt sich Detlev von Larcher in der Pflicht, für „entsprechende Strukturen zu sorgen“. Nur wie?

Da gerät er doch ein bisschen in Fahrt. Steht auf, als habe er auf die Frage nur gewartet, sucht einen Aktenordner, findet ihn, kommt zurück, freut sich und holt vier zusammengeheftete, eng bedruckte DIN-A 4-Seiten hervor. Der Name des Verfassers steht oben rechts: Detlev von Larcher. Der Titel der Abhandlung: „Einführung einer Vermögensbesteuerung“. Es folgt eine präzise Anleitung, wie diese Steuer – wahlweise auch Abgabe – zu erheben sei: Die Abgabe wird auf große Privatvermögen erhoben. Sie beträgt 10 Prozent des die Freibeträge übersteigenden Vermögens und wird in 10 gleichen Jahresbeiträgen geleistet, bzw. im Falle einer Vermögenssteuer 1 Prozent jährlich. Je Haushalt wird ein Freibetrag für das Familiengebrauchsvermögen (selbstgenutztes Wohneigentum) von 300.000 DM berücksichtigt. Fazit: Es ergäbe sich bei einer einmaligen Vermögensabgabe mit einem Satz von 10 Prozent ein Aufkommen von 210 Mrd. DM (über 10 Jahre verteilt).

„Das“, sagt Detlev von Larcher, „ist das Wichtigste. Dass wir die Vermögensabgabe durchkriegen, spätestens auf dem Parteitag im Dezember“. Denn dann könnte er allen sonstigen Einsparungen und Kürzungen im Haushalt ruhigen Gewissens zustimmen – es gäbe ja Mittel zur Refinanzierung. Der Ärger über die Rentenpolitik, über die Kürzungen im Etat von Arbeits- und Bildungspolitik – er scheint plötzlich verraucht. Kompensiert allein durch die vage Aussicht auf die Wiedereinführung einer Steuer, die zwar Geld eintreibt, aber schon vor Jahren nicht dazu führte, dass die Welt gerechter geworden oder die Arbeitslosigkeit gesunken wäre. Und die diesmal zudem auch noch den Mittelstand schröpfen soll: Wenn 300.000 Mark die zulässige obere Besitzgrenze ist, dann steigen demnächst vermutlich nicht nur die Weyher Nachbarn Detlev von Larcher aufs Dach. Der trotzt: „Die Vermögenssteuer ist allein schon wegen ihrer psychologischen Wirkung wichtig, denn sie zeigt, dass die Reichen nicht außen vor bleiben.“

Sparen und sich mit dieser Notwendigkeit abfinden ist eine Sache. Detlev von Larcher könnte sich daran gewöhnen. Der Verlust von Werten und Weltanschauungen, die über Jahre ihre Gültigkeit hatten, ist eine andere. Schwerer hinzunehmen allemal.

Die Vermögenssteuer ist ein schöner Ausweg aus diesem Dilemma. Sie treibt das fehlende Geld ein bei denen, bei denen es nicht unmoralisch erscheint. Und vor allem erspart sie Detlev von Larcher, selbst auferlegte Denkverbote aufgrund von Sachzwängen revidieren zu müssen. Die Privatisierung weiterer öffentlicher Unternehmen etwa, die er ablehnt: „Wir telefonieren jetzt zwar billiger, aber dafür macht in meinem Beritt eine Postfiliale nach der anderen dicht.“ Die Idee etwa, Arbeitslosen, die mehrere Jobangebote ablehnen, die staatliche Unterstützung zu streichen – was er ablehnt: „Ich halte an dem im Grundgesetz verankerten Recht auf freie Berufswahl fest.“

Was aber, wenn die Vermögenssteuer nicht kommt, wie der Bundesfinanzminister wiederholt betont hat? Da sagt von Larcher nur: „Ich sage doch jetzt nicht, wenn das nicht, dann das.“ Er grinst. „Den Vorwurf der Erpressung handele ich mir nicht ein.“ Sein Stil ist das nicht, Abrechnungen liegen ihm nicht, Nachtreten schon gar nicht. Wer das tut, mit dem möchte Detlev von Larcher ungern in Verbindung gebracht werden: „Oskar Lafontaine war ein guter Parteivorsitzender, aber nicht die Speerspitze der Linken.“

Denn die ist schließlich er, und bei ihm ist die Solidarität mit der Partei immer noch größer als der persönliche Frust. Detlev von Larcher gehört der aussterbenden sozialdemokratischen Generation an, der Parteimitgliedschaft mehr bedeutete als persönliche Karriere. Die SPD als historisches Projekt, in dem die Gemeinschaft die Identität des Einzelnen prägte. Ein Austritt – bei allen internen Querelen – käme da einer schweren Persönlichkeitskrise gleich.

Dass manche linke SPDler mittlerweile mit der PDS liebäugeln oder – wie der Bundestagsabgeordnete Uwe Hiksch – übertreten, ist ihm unbegreiflich. Nicht, dass er Berührungsängste hätte oder Diskussionen mit den Sozialisten nicht schätzte. Doch vor einer Mitgliedschaft bei allem, was nur im Entferntesten an Kommunismus erinnert, „bin ich schon biografisch gefeit“. Schon während seiner Kindheit im rumänischen Siebenbürgen habe er nicht verstanden, „warum man am 1. Mai demonstrieren musste und warum man im Sportverein nur was wurde, wenn man in der Partei war und nichts gegen sie sagte“. Detlev von Larcher ist wahrlich keiner, der die Klappe hält. Stenografen im Bundestag stöhnen über seine zahlreichen Zwischenrufe, mit denen der SPD-Mann seit neun Jahren an das moralische Gewissen der Nation appelliert, sei es beim Großen Lauschangriff oder der Debatte um die Asylgesetzgebung.

Genossen sehen in ihm dennoch gern den Hinterbänkler, und als Gegner nehmen ihn viele erst gar nicht wahr. Denn stammen die strittigen Vorlagen von seinen eigenen Parteikollegen, wird von Larcher zuweilen merkwürdig stumm. Als Franz Müntefering neulich im Bundestag erklärte, der Transrapid werde wegen der Kostenexplosion nur noch eingleisig gebaut, „da war ich schon überrascht“. Er wollte die teure Stelzenbahn noch nie, und schon gar nicht als eingleisige Mogelpackung. Aber sich spontan zu Wort melden – gegen Müntefering? „Das kann man doch nicht machen, gegen den eigenen Minister“, entfährt es ihm empört. Lieber setzte er sich anderntags hin und schrieb seinen Unmut in einen Brief an den Kanzler. Auf eine Antwort wartet er bis heute.

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