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Kämpferische Kompromisse in Kabul

Die afghanischen Taliban zeigen sich von den UN-Sanktionen unbeeindruckt. Die Wiedereröffnung des Landwegs nach Iran mildert die Folgen. In der Bevölkerung verlieren die Mullahs an Rückhalt  ■   Aus Kabul Thomas Ruttig

„Wer den Sowjetkommunismus besiegt hat, lässt sich auch von den Kapitalisten nicht in die Knie zwingen“

Jetzt ist es den Taliban doch noch gelungen, den Vereinten Nationen ein Schnippchen zu schlagen. Wie ihr Außenminister Maulawi Abdul Wakil Mutawakel am Samstagvormittag auf einer Pressekonferenz in Kabul verkündete, ist ab Sonntag die Grenze zu Iran wieder geöffnet, die Teheran im vergangenen Sommer geschlossen hatte, als es wegen der Ermordung iranischer Diplomaten im nordafghanischen Mazar-e Sharif fast zum Krieg zwischen beiden Ländern gekommen wäre. Die Basarhändler werden sich die Hände reiben, denn ihnen sind wegen der gespannten Beziehungen einige Geschäfte durch die Lappen gegangen. Ohne es zuzugeben, hoffen die Taliban darauf, dass die Öffnung dieses Landwegs den am 14. November in Kraft getretenen UN-Sanktionen etwas die Wirkung nehmen wird.

Mitte Oktober hatte der Sicherheitsrat den Taliban einen Monat Zeit gegeben, um den Islamistenführer Ussama bin Laden auszuliefern, den die USA beschuldigen, im August 1998 zwei blutige Anschläge auf ihre Botschaften in Nairobi und Daressalam organisiert zu haben. Doch die Taliban bezeichnen Bin Laden nach wie vor als Gast, für dessen Beteiligung an den Anschlägen Washington bisher die Beweise schuldig geblieben sei.

Mutawakel hatte am Samstag noch eine Draufgabe zu bieten: Der UNO wird erlaubt, humanitäre Güter in das belagerte Panjshir-Tal zu transportieren, wo sich Taliban-Gegner Ahmed Schah Massud verschanzt hat. Nach jüngsten Angaben internationaler Hilfsorganisationen halten sich dort außer der örtlichen Bevölkerung etwa 60.000 Binnenflüchtlinge auf, die in diesem Sommer vor Kämpfen aus der Shimali-Ebene nördlich der afghanischen Hauptstadt geflohen waren. Angesichts des nahenden Winters schien eine neue humanitäre Katastrophe unausweichlich. Auch die 21.000 Flüchtlinge aus Shimali, die in Kabul unter prekären Bedingungen kampieren, sollen von der UNO versorgt werden.

Bis Ende letzter Woche sah das Verhältnis zwischen den Taliban und der Weltorganisation noch ganz anders aus. Fast eine Woche lang hielten organisierte Proteste gegen die UN-Sanktionen die etwa 120 Mitglieder starke ausländische Gemeinschaft in Kabul und in mehreren Provinzstädten in Atem. Demonstranten stürmten das Gelände des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) in Kabul, andere UN-Gebäude wurden mit Steinen beworfen. Dann sorgte das geistliche Oberhaupt der Taliban, Mullah Muhammad Omar, wieder für Ruhe. Über Radio forderte er die Bevölkerung auf, nicht mehr vor den Vertretungen mit der hellblauen Flagge aufzumarschieren. Für die gewaltsamen Zwischenfälle machte ein Vertreter des Kabuler Außenministeriums Personen verantwortlich, die sich nur „als Taliban ausgeben“. In Kabul gilt es jedoch als ausgemacht, dass die Behörden die Proteste selbst organisiert haben. Ein Student bestätigt, dass er und seine Kommilitonen aufgefordert wurden, sich an den Protesten zu beteiligen – mit der Drohung, sonst würde es im Wohnheim an diesem Tag keine Verpflegung geben.

Die Wirkung der UN-Sanktionen wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Planungsminister Qari Din Muhammad räumte am Sonnabend im Gespräch mit der taz ein, dass sie sehr wohl Einfluss auf die Wirtschaft Afghanistans haben. Er wollte das aber nur auf ausländische Firmen bezogen wissen, die in Afghanistan investieren. Außer einer kleinen US-Gesellschaft, die ein Mobiltelefonnetz für das Land aufbaut, ist von solchen Aktivitäten allerdings derzeit nichts bekannt. Muhammad Shaheen, Chefredakteur der englischsprachigen Kabul Times erinnert daran, dass die Afghanen Leiden gewohnt seien. Schließlich habe man den Sowjetkommunismus besiegt und werde sich deshalb auch nicht von den USA – den „Kapitalisten“, wie es in einem Leitartikel aus seiner Feder heißt, in die Knie zwingen lassen.

Die ausländische Gemeinschaft in Kabul ist hingegen davon überzeugt, dass die Sanktionen nicht viel an der Situation ändern werden. Höchstens das Start- und Landeverbot für Maschinen der staatlichen Fluggesellschaft Ariana im Ausland könne sich auf die Sicherheit der Ariana-Inlandflüge sowie auf den Postverkehr mit dem Ausland auswirken. Die Ariana-Maschinen werden in Dubai gewartet, weil es im Land an ausgebildetem Personal fehlt. Ein afghanischer Ingenieur, der sich jetzt als Taxifahrer durchschlägt, traf wohl am ehesten den Punkt. Vor allem Geschäftsleute würden die Sanktionen spüren, meinte er – um mit Genugtuung hinzuzufügen, dass damit auch die Taliban getroffen würden. Viele ihrer Führer seien direkt am einkömmlichen Transithandel mit Autos und anderen Luxusgütern aus den Golfemiraten über Afghanistan nach Pakistan beteiligt.

Für die Bevölkerung ist das Verhältnis zum Nachbarn Pakistan wichtiger als das zur UNO. Afghanistan kann in diesem Jahr erneut seinen Getreidebedarf nicht aus eigener Ernte decken und muss die Lücke durch UN-Hilfslieferungen und Importe aus Pakistan schließen. Parallel zu den UN-Sanktionen hatte dessen neuer Machthaber General Parvez Musharraf jedoch den Weizenschmuggel nach Afghanistan unterbunden, der im eigenen Land für Knappheit gesorgt hatte. In der Folge stieg der Brot- und der Mehlpreis in Kabul auf das Doppelte. Auch die einheimische Währung, der Afghani, sank auf den abgründigen Kurs von 1:940 zur pakistanischen Rupee bzw. 1:54.000 US-Dollar. Erst nachdem am Donnerstag und Freitag neue Mehllieferungen aus Pakistaneintrafen, stabilisierte sich der Afghani wieder bei etwa 800 Rupees.

Die Taliban, einst als islamische Saubermänner angetreten, haben in der Kabuler Bevölkerung längst ihren Kredit verspielt. Dass es auch in ihrer Verwaltung nicht ohne Schmiergelder geht, kann man an jeder Straßenecke erfahren. Viele von ihnen, die Villen im früheren Kabuler Botschaftsviertel Wazir Akbar Khan übernommen haben, ließen sich heimlich Satellitenantennen einbauen, obwohl Fernsehen offiziell verboten ist, erzählt ein Buchhändler. Und er fasst den Stimmungsumschwung zusammen: „Sicherlich kann ich jetzt mit viel Geld in der Tasche ungefährdet den Basar durchqueren. Aber wir wollen auch frei unsere Meinung sagen können. Von unserem Präsidenten (gemeint ist Mullah Omar) wissen wir ja nicht einmal, woher er kommt und ob er einen Schulabschluss hat.“

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