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Erinnerungen an den grünen Aufbruch

■ Vor zehn Jahren wurden in der DDR die Grüne Partei und die Grüne Liga gegründet. Trittin traf die Ökoaktivisten von einst

Berlin (taz) – Es war der letzte Tagesordnungspunkt auf der letzten Sitzung der letzten DDR-Regierung: Fünf Minuten vor seinem Ende beschloss das kleine Land ein großes Nationalparkprogramm. Fast ein Zwanzigstel der DDR wurde unter Schutz gestellt – der größte Erfolg der ostdeutschen Umweltbewegung.

Die traf sich am Dienstag in Berlin, um zurückzuschauen und zu diskutieren: „Umweltbewegung im Osten – Anerkennung gewonnen, Illusionen verloren?“ Prominentester Zuhörer: Umweltminister Jürgen Trittin. Der war ins Pankower Rathaus gekommen, um den Protagonisten von einst „zu danken, um zuzuhören und Anerkennung zu zollen“.

Wie bei Veranstaltungen dieser Art zu erwarten: Es dominierte zunächst ein wehmütige Blick zurück. Auf die „Tage, in denen alles möglich schien“, wie es Klaus Schlüter, heute Vorsitzender der Grünen Liga, bezeichnet. Am 24. November 1989 kamen in Berlin die Köpfe der Ost-Umweltgruppen zusammen. Das Strategietreffen begann mit einem gründlichen Eklat: mit der Spaltung. Zwei Drittel der Aktivisten gründeten in der unteren Etage des Versammlungsgebäudes die Grüne Partei der DDR. Ein Drittel fand sich in der oberen Etage zusammen, um ein außerparlamentarisches Netzwerk – eine, wie es im Gründungsaufruf hieß, „Grüne Liga“ – ins Leben zu rufen. Einige Aktivisten konnten sich nicht recht entscheiden, pendelten zwischen „oben“ und „unten“. Matthias Platzek beispielsweise, der sich damals für das außerparlamentarische „Oben“ entschied – und heute als SPD-Oberbürgermeister an seiner politischen Karriere bastelt.

Die Karriere von Liga-Mitbegründer Klaus Schlüter endete indes genauso jäh, wie sie begann. Gemeinsam mit Platzek und Sebastian Pflugbeil war er vom vorletzten DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow als Minister – wenn auch ohne Geschäftsbereich – in dessen Kabinett berufen worden. Einmalig in der deutschen Geschichte: Ein Umweltverband stellt einen Minister.

Man kann sich streiten, wieviel die drei „Geschäftslosen“ erreicht haben. Eines aber ist klar: Sie brachten das von Michael Succow erdachte Nationalparkprogramm am Runden Tisch politisch auf den Weg. Der Biologieprofessor Succow, damals zum Stellvertreter des Umweltministers berufen, wurde dafür schließlich 1996 mit dem alternativen Nobelpreis geehrt.

Anders als bei den vielen anderen Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen zur Wende holte dieses Thema die Diskutanten in die Gegenwart zurück. Etliche der einst ausgewiesenen Naturschutzgebiete stehen heute wieder zur Disposition oder sollen privatisiert werden. Trittin sitzt plötzlich nicht mehr auf der Zuhörerbank. Er muss sich jetzt Kritik gefallen lassen.

„Sie stehen in ihrem Kampf gegen die Atomlobby völlig allein da oben“, sagt beispielsweise Sebastian Pflugbeil. „Reden Sie doch mit uns!“ Das mag etwas komisch klingen. Pflugbeil aber hat Know-how-Vorsprung – immerhin hat er sieben Atommeiler abgeschaltet, fünf Bauprojekte gestoppt. Aber das scheint Trittin nicht mehr so genau parat zu haben. „Wir haben genügend Kontakte zur Basis“, wiegelt der Minister ab.

Oft beginnt Trittin seine Antworten mit der Phrase „In der Tat“. Doch die, die einst taten, gucken genauso oft ratlos. Ihnen geht es nicht um Tagespolitik, ihnen geht es um ihre DDR-Erfahrungen. Ums Prinzip. Michael Succow sagt: „Ein begrenztes System, das unbegrenzt wächst, endet in der Katastrophe.“ Der Sozialismus habe das gezeigt. Und jetzt lebe man wieder in einem System, dem bundesrepublikanischen, das genauso einer Katastrophe entgegenwachse – ohne dass es einer merke. Christoph Tannert, der einst Greenpeace DDR mitgründete, drückt es weniger philosophisch aus. „Im neuen Leitantrag der SPD steht 15-mal das Wort Wachstum. Von Ökologie ist dagegen nichts zu lesen.“ Nick Reimer

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