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Kantinenessen als Henkersmahlzeit

■ Ermittlungen gegen den Hamburger Amtsrichter Ronald Schill wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung stehen kurz vor dem Abschluss. Zeugen belasten ihn schwer

Der Vorwurf gegen Amtsrichter Ronald Schill, er habe im Mai zwei Prozesszuschauer in Ordnungshaft nehmen und bewusst drei Tage dort schmoren lassen, scheint sich zu erhärten. Der letzte Zeuge im laufenden Ermittlungsverfahren ist von der Staatsanwaltschaft für den 22. Dezember geladen. Schon im Januar könnte gegen Schill Anklage wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung erhoben werden.

Eigentlich soll Schill ab dem kommenden Jahr am Zivilgericht Recht sprechen. Das hat das Präsidium des Amtsgerichts im Geschäftsverteilungsplan für 2000 festgelegt. Dem könnte jedoch die Anklageerhebung in die Quere kommen. Denn Rechtsbeugung wird mit Freiheitsentzug von mindestens einem Jahr bestraft und gilt somit als Verbrechen. „Es wäre ein Unding“, sagt dazu ein leitender Staatsanwalt, „wenn ein mutmaßlicher Verbrecher weiter sein Richteramt ausüben dürfte“.

Dem umstrittenen Hamburger Amtsrichter würde nicht eines seiner harten Urteile, sondern ein Geschehen am Rande eines Prozesses zum Verhängnis werden: Beim Verfahren gegen einen Aktivisten des linken Stadtteilzentrums „Rote Flora“ steckte Schill zwei Zuhörer wegen krummen Stehens in Ordnungshaft. Im anschließenden Beschwerdeverfahren leitete er fast drei Tage lang die Akten nicht an das hanseatische Oberlandesgericht weiter und verhinderte damit, dass dies die Gefangenen vorzeitig aus der Haft entlassen konnte.

Der wichtigste Zeuge der Anklage ist ein Richter, den Schill nach jenem Prozess in der Kantine traf. Der sagte vor der Staatsanwaltschaft aus, Schill sei bei dem Essen von mehreren Kollegen auf die unbearbeiteten Akten angesprochen worden. Doch der, so der Zeuge, soll nur ironisch gelächelt und sinngemäß gesagt haben, dass er die Inhaftierten „ein bißchen schmoren lassen wolle“. Rechtsanwalt Andreas Beuth, der einen der Inhaftierten verteidigt, bestätigt, dass Schill „nach Eindruck von Zeugen, auch von Richtern und Staatsanwälten, das Beschwerdeverfahren absichtlich verzögert hat“.

Schill selbst hat sich bis heute keinen Anwalt und damit auch keine Akteneinsicht genommen. Auch den Ladungen der Staatsanwaltschaft, sich zum Vorwurf zu äußern, ist er bis heute nicht gefolgt. Hingegen zieht er weiterhin in den Medien gegen die „zu lasche Justiz“ zu Felde. Rechtsanwalt Andreas Beuth warnt: „Wer im Verdacht steht, ein Verbrechen begangen zu haben, sollte es unterlassen, ständig öffentlich über die zu lasche Behandlung von Verbrechern zu lamentieren.“ Der Verteidiger fordert von Schills Dienstvorgesetzten, ihn vom Richteramt zu suspendieren: „Angesichts der bevorstehenden Anklage reicht eine Versetzung zum Zivilgericht nicht aus“. Hilmar Zschach

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