: Das Jahr der Flughafenpleite
■ Jahresrückblick, Teil 4: Wirtschaft. Trotz eines leichten Aufschwungs hinkt Berlin dem Bundestrend hinterher. Zuwächse gab es vor allem bei Billigjobs im Dienstleistungssektor
1999 – das Jahr, auf das man in Berlin sehnlichst gewartet hat: Der Regierungsumzug sollte die lange erhoffte Trendwende für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bringen. Zum Jahresende aber ist Ernüchterung eingekehrt. Noch immer hinkt Berlin der wirtschaftlichen Entwicklung in der Republik weit hinterher. Nicht einmal Berufsoptimisten wie Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) glauben noch, dass die anhaltend hohe Arbeitslosenquote von 16 Prozent im neuen Jahr merklich zurückgehen könnte.
In der Wirtschaftspolititik hat sich der Senat nicht mit Ruhm bekleckert. Die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe wurde verzögert, die Internationale Funkausstellung – das medienpolitische Vorzeigeprojekt – registrierte weniger Besucher. Die größte Bruchlandung aber erlitt der Senat bei der Privatisierung der Berliner Flughäfen. Wegen gravierender Mängel im Vergabeverfahren stoppte ein Gericht den Verkauf an das Konsortium um den Essener Baukonzern Hochtief. Damit erscheint es unklarer denn je, ob der neue Großflughafen Schönefeld bis 2007 fertig gestellt sein kann.
Dass sich die Berliner Wirtschaftslage dennoch leicht verbesserte, ist eher der allgemeinen Konjunktur zu danken als den Maßnahmen des Senats. Anders als im Vorjahr ist die Wirtschaftskraft der Hauptstadt 1999 wohl zumindest nicht geschrumpft. Branoner geht sogar von bis zu 0,5 Prozent Wachstum aus – bundesweit erwarten Experten einen Anstieg von 1,5 Prozent. Diese Schere wird sich auch im kommenden Jahr kaum schließen: Während Branoner von 1,5 Prozent Wachstum ausgeht, werden im Bundesdurchschnitt 2,5 Prozent erwartet.
Der Strukturwandel in Berlin ist längst nicht abgeschlossen. Während 1999 in Industrie und Verwaltung, Bau und Handel Arbeitsplätze wegfielen, gab es im Dienstleistungsbereich mehr Beschäftigte. 40 Prozent der Berliner Bauarbeiter sind arbeitslos, viele Baufirmen machen dicht. Ursachen sind der Rückgang der Bauaufträge und die Billigkonkurrenz aus Ostdeutschland, der EU und Osteuropa.
Auch beim Handel, der nur mit Sonntagsöffnungen von sich reden machte, konnten die guten Weihnachtsumsätze nicht über die Krise hinwegtäuschen. Viele der potentielle Kunden sind arbeitslos oder beziehen nur ein schmales Einkommen. Obendrein ziehen Einkaufszentren auf der grünen Wiese Kaufkraft ab.
Von 400.000 Industriearbeitsplätzen sind seit der Wende 270.000 weggefallen. Aber es gab 1999 auch Ausnahmen: Der Elektronikkonzern Motorola begann in Tegel mit dem Bau eines Fertigungs- und Verwaltungszentrums für 500 Beschäftigte.
Der französische Alcatel-Konzern dagegen schloss sein Neuköllner Kabelwerk, obwohl es profitabel arbeitete. Das Management war offenbar der Meinung, dass die Innenstadt einer Metropole kein geeigneter Produktionsstandort ist. Tatsächlich spielt die Industrie in Städten wie Paris, London oder New York – in Berlin gerne als Vorbild zitiert – eine weit geringere Rolle.
Nur der Dienstleistungssektor, mitunter als Jobmaschine der Zukunft mystifiziert, konnte einen gewissen Aufschwung verzeichnen. Die Hotels waren besser ausgelastet, das Bewachungsgewerbe profitierte vom Regierungsumzug, in den Call-Centern – vom Senat gefördert – arbeiten mittlerweile rund 6.000 Menschen. Doch die Jobs in diesen Branchen haben vor allem eines gemeinsam: Sie werden schlecht bezahlt, sind ungesichert und verlangen von den Beschäftigten ein hohes Maß an Flexibilität.
Ungesicherte Honorarverträge, unbezahlte Überstunden und Arbeit auf Abruf gehören auch in der Medien- und Werbebranche, die ebenfalls einen Aufschwung erlebte, zum Alltag. Die Werbefirmen beschäftigen mittlerweile rund 5.000 Berliner, einige der bundesweit größten Unternehmen sind in Berlin präsent.
Pixelpark, 1991 in Berlin gegründet und inzwischen eine der größten Multimediafirmen, ging erfolgreich an die Börse. In der Filmproduktion liegt die Region Berlin-Brandenburg mit den Studios in Adlershof und Babelsberg an dritter Stelle in Deutschland. Branchenkenner kritisieren jedoch die mangelnde Abstimmung zwischen beiden Bundesländern in der Medienpolitik.
Dass Berlin im neuen Jahr den Sprung zur Dienstleistungsmetropole schafft, ist dennoch unwahrscheinlich. „Die Defizite Berlins als Standort von Anbietern überregional gehandelter Dienstleistungen sind zu groß, als dass in absehbarer Zeit mit ihrer Beseitigung gerechnet werden könnte“, analysiert Kurt Geppert, Regionalexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Bei den Finanzdienstleistungen sei überhaupt kein Aufholprozess zu erwarten, in anderen Bereichen werde er sehr lange dauern. Kurzfristig werde sich nur die Stellung Berlins als Medien- und Touristenstadt verbessern.
Für eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt ist das zu wenig, zumal auch im Dienstleistungsbereich – etwa bei den Banken – massiv rationalisiert wird. Claus Clausnitzer, Chef des Landesarbeitsamtes, rechnet auch im neuen Jahr nur mit einem „marginalen Rückgang“ der Arbeitslosigkeit.
Sekt oder Champagner? Für die 270.000 Arbeitslosen der Stadt ist das heute Nacht keine Frage.
Richard Rother
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