piwik no script img

Mal harmlos, mal gefährlich ■ Werthebach und die Rechtsradikalen

Auf den ersten Blick ist es erfreulich: Die Zahl der rechtsextremen Straftaten hat sich im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Doch Grund zur Freude gibt es nicht. Rechtsradikale gehören in Berlin längst zur Normalität. 130 Rechtsradikale marschierten im April durch Marzahn, 300 im Mai über den Pariser Platz, 600 zum Jahrestag von Hitlers Machtergreifung durchs Brandenburger Tor. Die NPD verlegt ihre Bundeszentrale nach Köpenick, die „Republikaner“ sitzen schon seit einem Jahr in Pankow.

Interessiert hat das, bevor Innensenator Eckart Werthebach das Demonstrationsrecht auf die Tagesordnung gesetzt hat, fast niemanden. Als Gefahr inszeniert werden die Antidemokraten von den Konservativen nur dann, wenn es ins politische Kalkül passt. Bei anderer Gelegenheit ist man weitaus nachsichtiger. Einen Überfall der rechten Szene auf einen Imbiss in Prenzlauer Berg sei, sagt Werthebach verharmlosend, „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine typische Tat der Jugendgruppengewalt, bei der in erster Linie situationsbedingte und gruppendynamische Aspekte tatauslösend waren“. Ein Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss in Pankow am „Führergeburtstag“ taucht in der Aufzählung gar nicht erst auf.

Im Zweifelsfall tragen ohnehin die Linken die Verantwortung für rechte Gewalt. Warum? Überlassen wir Dr. Eckart Werthebach die Diagnose: „In Prenzlauer Berg dürfte der Anstieg insbesondere auf die stetigen Auseinandersetzungen mit den in diesem Bezirk aktiven Angehörigen der linksextremistischen Szene und die durch ein alternatives Milieu geprägte Einwohnerstruktur zurückzuführen sein. Aufgrund dessen bietet der Bezirk Rechtsextremisten die Möglichkeit, sich mit dem politischen Gegner vor Ort auseinander zu setzen.“

Ein Phänomen, das man aus Bezirken wie Lichtenberg oder Treptow kaum noch kennt. Vorsicht also! Vielleicht ist das letzte Biotop in Gefahr, in dem sich die Rüpel aus den Randbezirken so richtig ausleben können. Sollte Werthebach auch noch dieses Biotop trockenlegen, müssen sie mangels Herausforderung wieder durchs Brandenburger Tor marschieren. Dr. Werthebach, übernehmen Sie!

Andreas Spannbauer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen