: Polizisten sind auch nur Gendarmen (mit Herzpuckern)
Oh. Die anrührende Reportage „Polizisten“ zeigt ebensolche in ihrem Alltag: Willige Vollstrecker als gewöhnliche Menschen, die Normales denken. Ha. (Sa., 22.15 Uhr, BR)
Ich kenne sie seit langem. Vor vielen Jahren kommandierten zwei von ihnen mich mit einer Maschinenpistole aus dem Auto. Später traten sie mein rotes Motorrad ein, standen morgens um sechs vorm Bett, killten die Goldfische im Aquarium mit Livioöl. Ehrlich.
Aber seitdem die Polizisten und ich älter geworden sind, kreuzen sich unsere Wege nur noch selten. Alle drei, vier Jahre oder so kontrollieren sie meinen Ausweis, setzen mich in ihr Auto und erstatten Anzeige. Bei diesen Begegnungen sprechen sie nie über sich. Aber heute Abend erzählen Polizisten im Fernsehen, wie sie sich bei ihren Einsätzen fühlen.
Wenn bei Anruf Mord gemeldet wird, „schnellt der Puls hoch. und dann kommt das Jagdfieber“. Sagen die Polizisten. Verstehe. Wenn junge Menschen kochend heißen Teer aus dem Fenster des besetzten Hauses in bester Hafenlage kippen, „haben wir das Gefühl, die müssen da raus“. Klar. „Herzpuckern hat man schon.“ Oh. „Das macht aber auch Spaß.“ Ja? „Der Tod gehört zum Leben.“ Hm. „Was ist außen grün und innen hohl? – Polizisten.“ Ha.
Herr Lindner von der Mordkommission ist oft beeindruckt. Vorsichtig stopft er ein Häuflein Knochen in einen Plastikbeutel und sinniert über seine Arbeit: „Das ist eine sehr interessante Sache, weil man tief in das Umfeld der Menschen einsteigt.“ Wenn das Jagdfieber abebbt, bleibt manchmal eine ernsthafte Traurigkeit. Als professionell gedrückter Mensch weiß Herr Lindner aber, wie er sich helfen kann. Nach Feierabend zieht er sich in seinen Hobbyraum zurück, um sich ungestört der Seidenmalerei zu widmen. Das Resultat sind grüne und andersfarbige Krawatten. Sorgfältig hängt Herr Lindner sie über einen Bügel, schlingt sie sich aber auch gerne um den Hals. Im Film trägt er zum braunen Jackett ein gelbes Tulpengebinde auf schwarzem Grund. Sehr distinguiert.
Aufgebaut wurden die Männer und Frauen in Uniform in ihrem Alltag, im Hintergrund laufen ein paar Takte „Polizisten“ von Extrabreit. Hölzern die Sprache, in der sich alle ausdrücken. Vom „Schleusungsgeschäft, das ein wirtschaftlicher Faktor in manchen Gegenden ist“, räsoniert einer, der schon 20 Jahre dabei ist, vom Hochsitz herunter. Die vielen Beobachtungsgänge an der Grenze zu Tschechien haben aus ihm eine einsame Kreatur gemacht.
Unentbehrlich fühlen sich die Beamten, weil „Polizei und Ganoven sich die Waage halten müssen“. Ich bin keine Ganovin. Trost spendet Jürgen Korell: „Die Polizei ist nicht demokratisch, weil sie stark hierarchisiert ist.“ Der kritische Polizist fragt auch solche Dinge in die Kamera: „Was hat die deutsche Polizei mit Polizisten aus Militärregimen gemeinsam?“ Lange suchte er in seinem Leben nach einer Antwort. Sie ist einfach: „Beiden geht es um die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, und deswegen gibt es Gemeinsamkeiten.“
Die meisten Polizisten schaffen solche Gedanken nicht. Sie sorgen für Recht und Ordnung, tragen eine Uniform und leben. Die Gruppenführerin aus München hat ihre „Leute im Griff“. Und die wissen: „In dem Moment, wo es ernst wird, habe ich das Sagen.“ Mutig.
Ernst macht Madame auf einer Treppe im Hauptbahnhof. Personenkrontrolle. Ein Dieb wird gefasst, der Haftbefehl vollstreckt. Ein „Triumph“ sei das nicht, sagt sie, zieht sich die Gummihandschuhe über, greift genussvoll in die Schuhe eines „Illegalen“, der wegen „Leistungserschleichung“ (Bildeinblendung: „Schwarzfahrer“) in einer Zelle sitzt. So sind sie. Streng, brutal im Ton, willige Vollstrecker der Gesetze.
Im zweiten Drittel laufen die Darsteller zu diversen Höchstleistungen auf. Den wichtigsten Satz lässt einer unachtsam, so ganz nebenbei fallen. „Manchmal, wenn die Beine wehtun und die Augen brennen, da lässt es irgendwann auch mal im Kopf nach.“ Das nenne ich Selbsterkenntnis. Auf so einen Satz habe ich Jahre gewartet.
Ungewollt schön wird Christian Baudissins fast anderthalbstündige Doku vier Minuten vor Schluss. Der Mann vom Hochsitz träumt sich fort von der Grenze: „Wenn ich mal nicht mehr kann, findet sich auch für mich ein Drehstuhl. Vielleicht mit Armlehne.“ Dann steigt er in seinen Streifenwagen und fährt in die glutrot untergehende Sonne. Prima Perspektive.
Annette Rogalla
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