: „Man muss mehr geben als Wörter“
■ Sein „Weiberroman“ erregte vor drei Jahren Aufsehen. Nun erscheint der neue Roman von Matthias Politycki. Der Schriftsteller über den deutschen Literaturbetrieb und das Ethos des Schreibens
Matthias Politycki zählt unbedingt zu den interessantesten deutschen Autoren, die wir derzeit haben. In seinem „Weiberroman“ schilderte er vor drei Jahren die tragisch-komisch, letztendlich aber stets unglücklich verlaufenden Liebesbeziehungen seines Helden Gregor Schattschneider in den 70er- und 80er-Jahren. Mit „Ein Mann von vierzig Jahren“ legt er nun eine Fortsetzung vor. Neben seinen Prosaarbeiten hat Matthias Politycki Essays verfasst, in denen er sich, durchaus polemisch, für eine so lesbare wie komplexe Literatur in die Bresche wirft und für seine Generation, die 78er, eine Lanze bricht. Matthias Politycki ist 44 Jahre alt und lebt in Hamburg und München. Seine Bücher erscheinen im Münchener Luchterhand Verlag.
taz: Herr Politycki, warum passen für Sie Männer und Frauen nicht zusammen?
Matthias Politycki: Sie würden sehr gut zusammenpassen, wenn sie rechtzeitig erkennen würden, mit wem sie es jeweils zu tun haben. Das Dumme an der Geschichte sind nur die Modalitäten außen rum.
Woher stammen die Probleme?
Schein und Sein kommen zu selten zusammen. Aber ich bin ja übrigens kein Psychologe. Ich habe keine Erklärungen. Lösungen will ich auch keine anbieten, ich bin schließlich nicht der Erich Fromm der 90er-Jahre. Ein Roman besteht aus Kleinigkeiten, nicht aus dem großen psychologischen Know-how.
Sie wollten nicht etwa das Mann-Frau-Thema der Frauenliteratur entreißen?
Keineswegs. Ich habe ein klassisches Thema der Literatur überhaupt bearbeitet: Ich wollte, wie beim „Weiberroman“ auch, einen Liebesroman schreiben. Das ist schwer genug.
Auffällig am „Weiberroman“ ist seine Stimmigkeit in den Kleinigkeit. Bei „Ein Mann von vierzig Jahren“ ist das nicht anders. Wie machen Sie das?
Die Konzeption beider Bücher geht bis zu meinem 16. oder 17. Lebensjahr zurück. Seitdem halte ich ganz einfach Augen und Ohren offen. Schließlich wollte ich die Geschichten exakt bis ins kleinste Detail erzählen. Dazu benötigt man viele O-Töne. Ich gehe viel in Kneipen oder treffe mich mit Leute und schreibe mir gleich dabei viel auf. Das ergibt über die Jahre Notizhaufen an Kleinigkeiten, die von der Realität verbürgt sind. Diese Realia werden über Jahre hinweg an die richtige Stelle geschoben, Hand in Hand mit einer immer weiter verfeinerten Gliederung des Ganzen.
Wie ein Mosaik?
Vielleicht. Aber ich lege Wert darauf, dass meine Bücher nur auf der Oberfläche wie eine Sammlung von Fragmenten wirken Darunter sind sie natürlich von A bis Z durchkomponiert, übrigens auch rhythmisch. Nicht aus der Summe von Puzzleteilen ergibt sich das Ganze, sondern das Ganze bedient sich der Details und baut sie ein.
In einem Essay haben Sie Ihr Konzept als „neue Äußerlichkeit“ bezeichnet.
Das ist nicht allein mein Konzept, es deckt sich mit manch anderem Autor meiner Generation. Wir erzählen nicht mehr von innen nach außen, sondern von außen nach innen. Wir gehen von den Phänomenen aus und entwickeln aus Kleinigkeiten ein Gesamtpersönlichkeitsbild. Wer wie Thomas Mann erst einen Charakter aufbaut und ihn dann in die Handlung schickt, verfährt vormodern. Bei uns geht es gleich rein in die Handlung; wer als Leser Lust hat, wird schon merken, dass dahinter kompliziertere literarische Vorgänge ablaufen.
Ihrem Helden ließe sich in der neuesten soziologischen Terminologie eine Patchworkbiografie attestieren. Glauben Sie noch an gradlinige Lebensentwürfe?
Doch, das tue ich. Aber die Frage ist: Sind sie literarisch interessant? Mein eigener Lebensentwurf ist zum Beispiel sehr viel gradliniger als Georgs, eigentlich völlig uninteressant.
Inwiefern?
Mit 15 Jahren habe ich, wenn man das auch in viele Anführungszeichen setzen muss, beschlossen, Schriftsteller zu werden. Dementsprechend habe ich mein Leben eingerichtet. Ich habe so lange wie möglich Germanistik studiert. Habe heimlich den ersten Roman geschrieben . . .
Heimlich?
Offiziell habe ich promoviert.
Aber Sie sind tatsächlich Dr. phil.!
Meine Eltern haben mich damals finanziell unterstützt. Als es rauskam, dass ich an einem Roman gesessen habe, sieben Jahre insgesamt, habe ich ihnen versprochen: Jetzt promoviere ich wirklich. Das habe ich dann auch zügig umgesetzt.
Bei aller Gradlinigkeit war auch Ihnen das Durchwurschteln nicht fern?
Die spannende Frage ist doch: Wie viel Patchwork braucht ein Mensch, um irgendwann einmal eine Gradlinigkeit zu erreichen? Die Mitglieder meiner Generation haben viel ausprobiert. Manche sind Taxi gefahren, bevor sie als Ökolandwirt den Platz gefunden haben, auf dem ihnen klar wurde: Hier sitze ich am richtigen Fleck. Andere haben anderes gemacht, bevor sie gradlinig wurden, auch ich: Ich versuche ja, nicht einfach nur zu schreiben, ich möchte einen Millimeter vorankommen in der deutschen Literaturgeschichte. Ohne diesen Ehrgeiz würde ich nichts zu Papier bringen. Dabei musste ich manches ausprobieren, bevor mir klar war, wo ich überhaupt ansetzen kann.
Noch vor knapp drei Jahren haben Sie in einem Essay geklagt, die neue deutsche Literatur werde nicht wahrgenommen. Sehen Sie das heute auch noch so?
Nein. Inzwischen hat ein Erdrutsch stattgefunden.
Begrüßen Sie das?
Auf die Frage muss ich Ihnen eine zweiphasige Antwort geben.
Zuletzt haben Sie ohne Wenn und Aber für die Literatur Ihrer Generation gekämpft!
Diesbezüglich habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ich habe an der Debatte um die neue deutsche Literatur immer wieder aktiv teilgenommen. Ich habe mich im Verlauf dieser Debatte sogar selbst erzogen. Schließlich war ich in meinen Anfängen ganz auf der E-Schiene.
Sie begannen als Avantgardist?
Ja. In der Literaturdebatte ging es für mich darum, zu lernen, wie man schreiben kann, ohne das zu verraten, was man von der Avantgarde gelernt hat. Ich wollte keineswegs auf eine vormoderne Position zurückfallen und gleichzeitig doch das einlösen, was immer als Lesevergnügen bezeichnet wird. Deshalb habe ich gekämpft für das, was ich als neue Lesbarkeit bezeichne. Und nun, endlich, stoßen die Autoren meiner Generation tatsächlich auf Interesse bei den Verlagen, und in der Tat ist eine neue deutsche Literatur ins Zentrum gerückt. Natürlich begrüße ich das. Allein schon aus Egoismus. Aber auch deshalb, weil ich, um Namen fallen zu lassen, Jens Sparschuh oder Burkhard Spinnen einfach lieber lese als den x-ten Walser oder Handke.
Das war die erste Phase Ihrer Antwort. Worin besteht die zweite?
Was ich natürlich nicht mehr begrüße, ist die neue deutsche Plattheit, die sich nahtlos unter dem Siegel der neuen deutschen Literatur mit eingeschlichen hat. Wobei gar nichts dagegen zu sagen ist, dass nun allerorten Lesefutter, Spartenliteratur für Teenager erzeugt wird. Allerdings ärgert es mich, dass die Literaturkritik diese Entwicklung so ernst nimmt, als sei das wirklich deutsche Literatur und nicht eine Boygroup, die eine neue, junge Klientel bedient, und das sogar gut macht. Wer behauptet, das sei die neue deutsche Literatur, der verkennt etwas.
Was?
Ich zum Beispiel möchte nicht verwechselt werden mit dieser Art Popliteratur. Ich glaube, es ist an der Zeit, die Schraube wieder in die entgegengesetzte Richtung anzuziehen. Also das wieder einzuklagen, was ich jahrelang bekämpft habe, weil es zu viel davon gab: Ich meine die E-Aspekte von Literatur.
Formbewusstsein?
Ja, und Mehrfachkodierung, das Augenmerk für literarische Tradition, Genauigkeit in der Sprache, die Herstellung von Komplexität. Literatur erschöpft sich nicht darin, ein Thema zu finden und es in Worte zu kleiden. Sie muss mehr sein als die Summe von Wörtern. In gelungenen Büchern muss eine stilistische Notwendigkeit spürbar sein und, fast würde ich sagen: ein Ethos beim Schreiben. Dass die Popliteraten, die gerade so Furore machen, einen solchen Schriftstelleransatz haben, bezweifle ich.
Viele von ihnen kommen vom Journalismus her.
Oder sie verstehen sich als Popstar. Ein Autor ist aber kein Popstar, zum Glück.
Glauben Sie, dass es ein Zurück geben wird zu ernsthafteren literarischen Diskussionen?
An den Autoren liegt es nicht. Ich fürchte, ich muss den schwarzen Peter an die Literaturkritik zurückgeben. Die Kritik hat es in den vergangenen Jahren versäumt, neue adäquate Kriterien zu erarbeiten, um den Lesern die unterschiedliche Bedeutung von Schriftstellern zu verdeutlichen. Man kann etwa das eine Buch auf einer viel höheren Ebene verreißen und das andere auf einer niedrigeren feiern. Auch in der Literatur gibt es, wie beim Fußball, verschiedene Ligen. Aber es fehlen im Moment Kriterien, um diese Ligen auseinander zu halten.
Kann es nicht auch passieren, dass Ihre Generation der 40- bis 50-jährigen Autoren wieder zerrieben wird? Auf der einen Seite finden ganz junge Autoren große Beachtung. Auf der anderen schlägt aber auch das alte Imperium zurück. Günter Grass erhält den Nobelpreis. Reich-Ranicki avanciert zum Starautor.
Manche Phänomene, und Grass und Reich-Ranicki gehören möglicherweise dazu, gewinnen durch die Pseudoaufgeregtheit der Medien eine Macht, die ihnen überhaupt nicht mehr zusteht. Wenn man auf die Literaturgeschichte zurückblickt, ist es doch fast immer so, dass die, die zu Lebzeiten am lautesten tönen, im Nachhinein am wenigsten gelesen werden. Man muss sich entscheiden, ob man zu Lebzeiten der Topautor sein oder in der Literaturgeschichte seinen Platz finden will. Das ist ein ganz anderer Anspruch.
Sie schielen auf die Nachwelt?
Das ist kein Schielen. Es geht nicht darum, auf lange Sicht der Berühmtere zu sein. Es geht um ein Ethos, wie man mit dem Schreiben umgeht. Es ist ja ein unverdientes Glück, Schriftsteller sein zu dürfen. Und dafür muss man auch mit Haut und Haaren etwas hergeben, nicht bloß Worte. Und was die Jüngeren betrifft: Ein schriftstellerischer Werdegang fängt langsam an, in kleinen Schritten. Die Fülle eines Werkes muss man im Auge behalten und eines nach dem anderen vorlegen. Den jungen Autoren aber wird von den Medien eine ganz schöne Achterbahnfahrt zugemutet.
Qualität setzt sich durch?
Sie hat sich schon durchgesetzt. Es kann zwar sein, dass manche Autoren meiner Generation es sich schwerer gemacht haben als nötig. Aber davon können wir nun profitieren. Inzwischen sind wir ja auch nicht mehr die so genannte jüngere, sondern die deutsche Literatur.
Interview: Dirk Knipphals
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