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Kein Asylschutz für Deserteure

Der neue Lagebericht des Auswärtigen Amtes für Russland/Tschetschenien liegt seit gestern den Innenbehörden der Länder – und der taz – vor ■ Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) – Seit gestern liegt den Innenbehörden der Bundesländer der neue, vertrauliche und nur für den internen Gebrauch vorgesehene „Ad-Hoc-Lagebericht Russische Föderation (Tschetschenien)“ des Auswärtigen Amtes vor. Er ist künftig die Grundlage bei der Beurteilung von Asylanträgen tschetschenischer Flüchtlinge in Deutschland.

Bundesinnenminister Otto Schily verhängte bereits am 27. Januar angesichts der dramatischen Lage im Tschetschenien-Konflikt einen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus dieser russischen Republik. Der SPD-Politiker entsprach damit einer Forderung von Pro Asyl. Die Menschenrechtsorganisation drängte vor allem auf einen besseren Schutz für Deserteure, die sich weigern, an den Kriegsverbrechen in Tschetschenien teilzunehmen.

Der neue Lagebericht ersetzt den alten aus dem Jahr 1998, der für die Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklung unbrauchbar ist. Nach Auskunft des neue Berichts ist vor allem die Situation der tschetschenischen Flüchtlinge in Inguschetien dramatisch. Die russische Teilrepublik und das russische Katastrophenschutzministerium seien mit der Versorgung der Flüchtlinge in den überfüllten und unbeheizten Zeltlagern überfordert. Nach Angaben der UNHCR droht der Ausbruch einer Cholera-Epidemie.

Vor allem im Grenzbereich von Inguschetien und Tschetschenien, so das Auswärtige Amt, wird der Zugang zu den Flüchtlingslagern behindert. Für Bernd Mesovic, Referent bei Pro Asyl, ein Indiz, dass es auch dort zu Menschenrechtsverletzungen durch russische Truppen kommt.

Dramatischer sieht die Lage natürlich in Tschetschenien selbst aus. Weder in den von russischen Truppen noch in den von tschetschenischen Feldkommandeuren kontrollierten Gebieten ist nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes die Sicherheit der Zivilbevölkerung garantiert.

Von Pro Asyl wird ein neuer, aktualisierter Lagebericht grundsätzlich begrüßt. Allerdings fehlt nach Auffassung von Bernd Mesovic das Wichtigste – ein garantierter Schutz für Deserteure. All jene, die sich weigern, an diesem umstrittenen Krieg teilzunehmen, bräuchten eine klare Zusage, dass sie in Deutschland Asyl erhalten, so Mesovic. Dies umso mehr, da ihnen eine innerstaatliche Fluchtmöglichkeit nicht zur Verfügung steht.

Das Gleiche gilt für Mesovic auch für jene, denen die Flucht aus so genannten Filtrationslagern gelingt. Diese Lager wurden bereits im ersten Tschetschenienkrieg (1994–1996) von der russischen Armee eingerichtet. In ihnen wurden tschetschenische Männer zwischen 10 und 60 Jahren unter Verletzung elementarster Menschenrechte inhaftiert. Das Auswärtige Amt geht von der Existenz mindestens eines Filtrationslagers an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien aus.

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