Kommentar: Das Imperium schlägt zurück ■ CDU träumt schon wieder von guten, alten Zeiten
Ein paar Wochen lang waren die Christdemokraten schwer angeschlagen, irritiert, schutzlos. Die Öffentlichkeit hat einen Teil der politischen Klasse völlig nackt gesehen. Von der größten Krise in der Geschichte der CDU war die Rede. Und jetzt? Schluss, aus, vorbei. Eine Landtagswahl im Norden und 35 Prozent der Stimmen haben gereicht, um der Partei neues Selbstvertrauen zu geben. Sie traut sich sogar schon wieder, von alten Zeiten zu träumen.
Man musste am Wahlabend nur in das Gesicht von Volker Rühe schauen. In ihm war alles abzulesen: die Verzweiflung der Partei vor Schließung der Wahllokale. Die Entspannung nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse. Die Angriffslust, die mit jedem Interview größer wurde. Und am Ende des Abends durfte man sogar schon wieder die alte christdemokratische Selbstgefälligkeit genießen. Längst sprach Rühe von einem „kleinen Wunder“, das er in Schleswig-Holstein vollbracht habe. Schließlich war er es, so Rühe, der den Absturz der CDU abgewendet habe. Also habe er auch verhindert, dass es ein anderes Deutschland und damit ein anderes Europa gibt. Genau so muss man das Wahlergebnis von Schleswig-Holstein interpretieren: Der kleine Volker Rühe hat das große Europa gerettet. Wahrscheinlich sogar noch Amerika.
Das Signal ist nicht zu überhören: Das Imperium schlägt zurück. Die CDU ist ganz offensichtlich an einem Punkt angelangt, wo sie findet, sie habe genug aufgeklärt und erneuert. Ab sofort wird wieder taktiert, als sei nichts passiert. Die Partei fängt nicht etwa neu an, sondern versucht, einfach weiterzumachen. Sie wählt einen neuen Chef (Rühe) oder eine neue Chefin (Merkel), Koch bleibt in Hessen Ministerpräsident, Rüttgers gewinnt in Nordrhein-Westfalen die Wahlen – und siehe da, schon ist die CDU wieder auf dem besten Weg, die „modernste Partei Europas“ zu werden, wie Parteichef Schäuble gestern ganz bescheiden verkündete.
Die CDU-Spitze, das ist das Verführerische an diesem Kurs, kann sich dabei auf eine Basis berufen, die verzweifelt nach Halt sucht, und was bietet sich dafür besser an als ein paar neue Köpfe und aufpolierte Gewissheiten von früher. Die CDU-Spitze, das ist das Gefährliche an diesem Kurs, übersieht jedoch ein wichtiges Detail: Man vergisst nicht so schnell, dass man jemanden schon einmal nackt gesehen hat. Jens König
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen