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Pop eins, zwei, drei ganz viele

■ Teil elf unserer unverzichtbaren kleinen Radioserie: NDR 2 oder über den kapitalistischen Sound des heutigen Rundfunks

Nie war so viel Radio wie heute. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Wir stellen Ihnen alle Programme vor. Heute trifft's NDR 2, die Hansawellen-Variante des NDR.

Standortbestimmung. „Die neue Vielfalt: ein Sender, alle Hits.“ Darunter haucht eine laszive (und freilich weibliche) Jinglestimme den Namen des Programms: NDR 2. Im Rahmen unseres fortgesetzten kleinen Lauschangriffs auf den lokalen Frequenzbereich wurde bereits darauf hingewiesen, dass das, was eigentlich die Originalität eines Formats ausmachen bzw. annoncieren sollte, in äußerst lustiger Weise gerade die Ununterscheidbarkeit derselben unterstreicht. „Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie“ (Andreas Dorau, Anfang 80er). Nun denne, Schultern geklopft, Ohren hochgekrempelt. Was so'n echter Kulturkritiker ist, hört da mal genauer hin. Interessantes Pardox eigentlich, dass bei Nebenbeihörsendern besonders genaues Lauschen vonnöten ist, ihre spezifische Qualität zu ermitteln.

Männer am Montag, sagt der Moderator in den Schlussakkord von Grönemeyers gleichnamigem Song. Der ist zwar schon alt, aber immer noch unerträglich gut gemeint. Einiges was man hier zu hören bekommt, hat bereits am Erscheinungstag das Verfallsdatum überschritten, ästhetisch gesehen. Trotzdem: Männer am Montag, Dienstag und wahrscheinlich auch den Rest der Woche. Und unsere tägliche Dosis Joe Cocker kriegen wir auch. „Let the healing begin“, singt er. Meint aber scheint's nicht, man möge sofort ausschalten. Überhaupt interessieren die einzige männliche „Rockröhre“ – ich liebe dieses Wort! – die Beobachtung des Autobahnabschnitts Großburgwedel oder die Wetterverhältnisse im Südoldenburgischen sicher nicht die Bohne.

Standortbestimmung II. „Der einzige Verkehrüberblick für den ganzen Norden“, heißt es nach jeder Nachrichtensendung. Ein regionalistischer Ton mischt sich als Wortbeitrag ins internationalistisch angelegte Musikprogramm. Gewiss, es würde recht wenig Sinn machen, einen Stau in Timbuktu zu vermelden oder dass es in der Antarktis für die Jahreszeit zu kühl ist. Trotzdem frönt man einem norddeutschen Partikularismus. Die HörerInnen wollen sich, wenn auch nur nebenbei, repräsentiert wissen. Zum Beispiel, indem man beim Telefongewinnspiel den Namen eines norddeutschen Kaffs hört. Wenn die Musik schon so weit weg ist, die wirklichen Stars aus Übersee kommen, soll wenigstens der Rest 'um die Ecke' passieren. So verfallen die Sprecher der Quizfrage (scheinbar selbstironisch) in nordisch-bäuerlichen Dialekt.

Hört man Informationsteil und Musik zusammen, erkennt man bald, dass in Radioformaten wie diesem Pop dort angekommen ist, wo er (vielleicht seit je?) hingehört. Mitten ins Herz des Kapitalismus. Dort, wo's kuschlig warm ist, dort, wo's um viel Geld geht, von dem man selber aber nie welches zu Gesicht bekommt. Das Herz von 'Britta aus Nordstemme' jedenfalls schlägt ganz heftig, denn sie kann einen von vielen Schlüsseln gewinnen, die möglicherweise irgendwann zu irgendeinem 'Traumhaus' passen. Viel Glück. Anyway: Der glückliche Aktiengewinner am 'Neuen Markt' (Topthema in den News!) ist genauso sexy wie die Streicherarrangements in einem Randy Crawford-Stück oder das Styling eines Politikers. Das und noch viel mehr ist Pop. Pop II (Diederichsen), um genauer zu sein.

Auch dies spiegelt das Programm wider. Ehemalige Divergenzen von Subkultur und Mainstream werden nivelliert, sind aber rudimentär noch vorhanden. Wenn auch genau umgekehrt. Der Moderator verwundert mit der Einschätzung, Eltern bekämen immer noch Angst, wenn ihre Kleinen Platten von „Cure“ anschleppen. Und weil der (haha!!!) Underground hier noch seinen Platz habe, werde am Abend ein Konzertmitschnitt gesendet. Von eben jenen „Cure“, die mit den HörerInnen gealtert sind und schon lange nur noch Major-Releases unter dieselben bringen.

Alles andere, Schwierige und potentiell Schmerzhafte wird aussortiert. Special-interest-Sendungen haben sich weitgehend verflüchtigt. Eine Entwicklung, die in nicht unerheblichem Maße mit der Vergabe privater Radiolizenzen zusammenhängt. Der entsprechende Druck wird an die HörerInnen weitergegeben. Und man steht endlich an eingangs genanntem Phänomen, dass dem 'Format' das Präfix 'Pseudo-' hinzuzusetzen ist. Unterschiede bestehen vornehmlich darin, wie weit die Zielgruppe nach oben offen ist, altersmäßig gesehen.

NDR 2 mag hier mit einem Umfang von gut 30 Jahren Musikgeschichte für eine Mischform stehen. Entsprechend durcheinander ist das Programm. Ein klassischer Indikator für jene Sender, die nebenbei eingeschaltet werden. Aber neben was? Das Gegenstück zum Nebenher ist die Arbeit (respektive die Rekreation von derselben), hierzulande ja durchaus ein geschätzter Wert. Das Musikradio fungiert ähnlich dem 'Muzak', der das Einkaufen 'verschönern' soll, affirmiert die postfordistische Gesellschaft. Nicht nur in diesem Sinne ist das Musikradio selbstreferentiell. Dem Anschalten um abzuschalten entspricht die Ansage, die einen ohnehin als 'schön' apostrophierten Popsong als 'schön' kennzeichnet. Eben darum ist der ultimative Verkehrsbericht nicht bloß 'guter Service'. Es geht eben auch um den reibungslosen Ablauf des Verkehrs, denn der wird, ökonomisch gesehen, gebraucht. Vielleicht ist das aber alles Quatsch, denn Worte wie Kapitalakkumulation gehören eh auf den berühmten Müllhaufen, oder? Na dann: An die Arbeit!

Tim Schomacker

NDR 2 auf UKW 99,8

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