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„Von hinten ist doch egal“

Thomas ist durch, Zladko gegen Alex wär besser: Wer wird „Big Brother“ gewinnen? Ein Tagebuch aus zwei Wochen Duschen, Kuscheln und allerlei Schikanen im Alltag des Reality-Fernsehens auf RTL2

von DETLEF KUHLBRODT

Someone to lead us / someone to follow“ (David Bowie, Big Brother, 1973)

Die Reality-Show „Big Brother“ wird den Zuschauern in drei Formaten angeboten: 24 Stunden live im Internet, jeden Abend etwa 35 Nettominuten im Fernsehen, und jeden Sonntag gibt es noch eine Wochenzusammenfassung mit anschließender Humantrashtalkshow für Warmduscher. Quasi. Unvergesslich: der Astromediziner letzte Woche. Alle zwei Wochen muss jemand gehen. In geheimer Wahl bestimmen die Bewohner jeweils zwei Mitbewohner, die den unheimeligen Container verlassen sollen; dann stimmen die Zuschauer (anfangs über drei Millionen, am Samstag nur noch 1,2) per Telefon ab, wer von den Nominierten zu gehen hat. Neben dem Üblichen – Angriff auf die Menschenwürde, geldgieriger Privatsender beutet das Intimleben von Menschen aus – wurde im Vorfeld der Sendung immer wieder irgendwie süffisant angemerkt, dass die Übertragung des Alltags total langweilig und obertrivial sein werde, womit letztlich auch gemeint war, dass unser aller Alltag des Ansehens nicht wert wäre (nur gelebt werden muss er halt).

Wenn „Big Brother“ ein Film und keine Dokusoap wäre, wären die Rollen von Gut und Böse eindeutig verteilt. Der große Böse wäre der Sender mit seinen ekelhaft verlogenen, kotzkarrieristisch verblödeten ModeratorInnen. Einer aus der Gruppe – vielleicht auch ein Pärchen – würde kurz vor dem Ziel rebellieren, mit viel Trara aussteigen und als Held abgefeiert werden. Möglich ist es immer noch, dass Zlatko eine Geisel nimmt und das doppelte Preisgeld fordert.Die ersten zehn Tage

Alex, der Porschefahrer, hat Kondome mitgebracht, an denen Manu kurz mal lutschen darf. Jana erklärte, sie hätte „chinesische Liebeskugeln“ dabei. Alle haben nackt geduscht. Despina wollte sich eine Umkleidekabine basteln und ging dann freiwillig. Alex versucht als Mischung aus spätem Elvis und Dieter Bohlen bei Mitspielern und Zuschauern zu punkten. Jana spricht über ihre Brustverkleinerung. Zlatko, „ein gutmütiger Automechaniker aus dem Schwäbischen“ (Zeit), gilt Christoph Schlingensief als „einer der übelsten und brutalsten Typen, den ich jemals kennen gelernt habe. Er kommt aus dem Osten (...) und kämpfte zu Zeiten des Kosovokrieges auf deutscher Seite gegen die Kosovo-Albaner“ (FR).7. 3. 00

Beim Spiegel hatte man nach dem Ausscheiden von Despina versucht, deren Telefonnummer rauszukriegen. Über das Münchner Telefonbuch. Eine Frau wäre am Telefon gewesen. Ja, das würde stimmen, ihre Mutter sei mal bei einer Talkshow gewesen, nur jetzt sei sie schon seit zwei Jahren tot. Später sitzen die Leute im weichen oder auch harten Gehäuse ihrer Familie mit zwei angeschlossenen Freunden, die man dreimal im Jahr sieht, mit fester Arbeit, diversen Krediten und einer Zukunft, die immer mehr schrumpft, weil sie absehbar geworden ist, weil sich das Immergleiche Jahr für Jahr wiederholt, weil die Leute wie die kleine, von der bösen Katze in die letzte Ecke des letzten Zimmers gedrängte Maus bei Kafka von der Lebenszeit in den Tod gedrängt werden.

Einerseits denkt man, dass Leute, die so leben (und jede Turnschuhwerbung wirbt ja mit der Angst vor dem von ihr auch veranstalteten Leben), „Big Brother“ nicht anschauen, weil sie wichtigere, sozusagen erwachsenere Dinge zu tun haben und die Sendung und das Trara darum für minderwertig halten; andererseits ist man wahrscheinlich umso faszinierter, je seltener man in die Situation kommt, sich mit Leuten arrangieren zu müssen, mit denen man sich sonst eben nie unterhalten würde. Das Zusammensein wird auch hier als „Grenzerfahrung“ (Thomas) erlebt. Man vergleicht die HeldInnen von „Big Brother“ mit Leuten, die man kennt, und überlegt natürlich auch, wie man sich selbst da verhalten würde. Thomas spült bei fließendem Wasser. Alex gibt dezente Hinweise auf die Unzulänglichkeiten seiner Mitbewohner.8. 3. 00

Draußen regnet es; warmer Regen in großen Tropfen. Thomas, der bislang der Einzige war, der kein Krafttraining gemacht hatte, versucht sich heute beim Stemmen. Nervös und unachtsam, weil Jürgen und Zlatko dastehen, die ihn hassen, was er auch spüren soll, entfernt er einen Ring von der Stange. Ins Ungleichgewicht gekommen, fällt die Gewichthebestange aus der Halterung, trifft fast Zlatko oder Jürgen und knallt gegen die Hartplastikfenster. Thomas ist konsterniert; Zlatko und Jürgen beschimpfen ihn; das sei ja noch mal gut gegangen, wenn da jemand getroffen worden wäre, hätte es ihm den „Unterkiefer weggeknallt“. Quälende Minuten stehen Zlatko und Jürgen nicht weit von Thomas und singen: „Mendocino“. Sie gucken dabei so wie zwei lächelnde Schläger auf ihr zitterndes Opfer. John, der wohl auf Grund seiner Hausbesetzererfahrungen eine zuweilen nervige soziale Kompetenz ausstrahlt, sagt Off-stage (jeden Tag muss jeder allein vor der Kamera seine Einschätzung der Lage geben), Jana hätte ihn bislang am meisten enttäuscht. Der gehe es nur ums Geld, und sie sage kaum was, weil sonst nur Unsinn rauskommt. Jana versucht mit erotischem Duschen zu punkten.9. 3. 00

„Little Sister“ heißt die Tante, die alle drängenden Fragen auf der „Big Brother“-Website beantwortet. Man fragt zum Beispiel, ob auch Männer im „Big Brother“-Studio zugucken dürfen, wenn Frauen auf dem Klo sind. Und umgekehrt. Ja, bzw. die hätten da so viel zu tun, dass sie eh nix sehen könnten. Jana ziert sich plötzlich beim Duschen. Zunächst sieht man sie nackt von hinten vor dem Duschraum. Dann legt sie sich ein blickschützendes Handtuch um. Manu fragt, was das denn solle. Sie sagt: „von hinten ist doch egal“.10. 3. 00

Thomas wirkt immer noch angeschlagen und wird heftig von Zlatko attackiert, wobei anzumerken ist, dass Thomas, also der Schwächere, das Duell, was auch immer eröffnete. Zlatko sagt jedenfalls: „Du bist der Einzige, wo nicht zu uns passt.“ „Wenn ich dessen Freund wäre, würde ich ihn sofort verlassen“, sagt Kirsten. Wir hassen Zlatko und sein unterhalterisches Potenzial ist uns erst mal egal.11. 3. 00

RTL 2 zwingt unsere Helden, um sechs aufzustehen und eine schwachsinnige Tagesaufgabe zu lösen. John trägt einen roten Stern. Gib mir deine Flosse, Genosse! Zlatko sagt seinem Freund Jürgen, Thomas würde bald freiwillig die WG verlassen. „Das weiß ich tausendprozentig, und wenn ich sage tausendprozentig, dann meine ich auch tausendprozentig.“ Außerdem: „Ich habe eine Menschenkenntnis – da scheißt du dir in die Hose!“ Eine Freundin sagt, sie hätte BB nur kurz mal gesehen, sei aber unbedingt dafür und auch für den Voyeurismus. Es gibt nicht wenige „Befürworter“ der Reality Show, die die Sendung nicht mit dem gebotenen Ernst verfolgen. Was schreib ich da nur! Unser Traumfinale wäre: Zlatko gegen Alexander. Oder vielleicht auch Zlatko gegen John. Aber Zlatko gegen Alex wär besser.12. 3. 00

Am Nachmittag war es schwer, zur Demo gegen die NPD zu kommen. Die Polizei hatte das Brandenburger Tor weiträumig abgesperrt. Schließlich kamen wir nur durch, weil wir Presseausweise dabei hatten. Die, gegen die wir demonstrierten, bekamen wir nicht zu Gesicht. Später gucken wir wieder „Big Brother“.

Erwartungsgemäß wird Thomas von den Zuschauern abgewählt, Zlatko bleibt drinnen. Eine Gut-drauf-Moderatorin umarmt den verzweifelten Informatikstudenten, der das verhindern will und nicht kann. RTL 2 ist ein Arschloch und schickt eine Neue als Ersatz für Despina, die freiwillig ausschied. Ein Affront und eine supergroße Sauerei. Wie wird sich Thomas nun fühlen?

RTL 2 spekuliert darauf, dass die Zuschauer ohnehin nix andres als Talkshows angucken. Davon, dass RTL 2 bzw. die holländische Produktionsfirma „Endemol“ vor einer Woche nach massiven Vorwürfen der Landesmedienanstalten angeboten hatte, den MitspielerInnen eine Stunde am Tag einen unbeobachteten Raum zur Verfügung zu stellen, erfährt man weder auf der „Big Brother“-Website noch im Fernsehen; auch der Vorwurf, zwei der KandidatInnen seien professionelle Schauspieler und vom Sender ein halbes Jahr auf die Sendung vorbereitet worden, um mehr Action reinzubringen, wird mit keinem Wort erwähnt. Dafür griff man einen Halbsatz von Stefan Raab auf, der gesagt hatte, er hätte einen Spion und Maulwurf in der Sendung platziert, und lässt die Zuschauer darüber entscheiden, wer der Maulwurf ist. Um ihn in der Realität wieder zu begrüßen, haben Thomas' Freunde 25 Webcams in seinem Zimmer aufgebaut. Tolle Idee! Draußen, im Haus gegenüber, onaniert ein Mann am Computer.

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