: Mol fast am Ende
Endemol-Shows dominieren die TV-Unterhaltung in ganz Europa. Doch nach der Fusion mit Telefónica steigen die beiden Firmengründer aus
von ANNETTE BIRSCHEL
Seine Markenzeichen sind Zigaretten und dicke Tränensäcke. An dem einen wird sich so schnell nichts ändern, sagt John de Mol und steckt eine neue Fluppe an. Aber die verquollenen Augen verschwinden immerhin „wenn ich im Urlaub war“. Also auch fast nie. Denn Urlaub ist ein Fremdwort für den 45-jährigen Workaholic. Bis spät in die Nacht sitzt er in seinem Büro in Hilversum, jettet durch die Welt, kauft hier eine Firma, verkauft dort seine Programme und entwickelt mal eben so nebenbei noch „Big Brother“ und tritt damit eine der heftigsten „Was darf das Fernsehen“-Debatten der letzten Jahre los.
Und jetzt hat er gerade „Endemol“, eine der größten TV-Produtkionsfirmen Europas, an den spanischen Telekomgiganten Telefónica verkauft – für umgerechnet schlappe 10,8 Milliarden Mark. Als Profifußballer hätte er das wohl nicht verdient. Da kann er froh sein, dass aus seinem Traumberuf doch nichts wurde.
Als auch seine kurze Karriere als Schlagersänger floppte, kam der große Bruder von Linda de Mol („Traumhochzeit“) zum Fernsehen. Ganz bescheiden zuerst als Techniker, dann als Sportreporter. 1978 begann er mit seinem eigenem Produktionsunternehmen, stilecht in einer Garage. Dort entwickelte er kleine Musikprogramme und erste Quizsendungen. Doch die Firma dümpelte so vor sich hin, bis de Mol mit der Krankenhaus-Serie „Medisch Centrum West“ erstmals seinen Riecher für den Publikumsgeschmack bewies.
Der eigentliche Boom begann 1989 mit Einführung des kommerziellen Fernsehens in den Niederlanden: Der neue Sender RTL Veronique, später in RTL 4 umbenannt und von Anfang an erfolgreichster holländischer Privatsender, wurde von Beginn an mit John de Mols Programmen gefüttert – wie auch von de Mols größtem Konkurrenten, Joop van den Ende.
Während John de Mol als knallharter Geschäftsmann gilt, ist Joop van den Ende eher der Gefühlsmensch, ein „Theatertier“. Der heute 58-jährige Amsterdamer hatte erst einen Laden für Partyartikel eröffnet und entdeckte dann als Theateragent Ende der 70er-Jahre eine Reihe von Talenten, die heute zumeist große Stars im niederländischen Fernsehen sind.
Und er verstand sich auf TV-Programme. Van den Ende entwickelte „The Surprise Show“, und 1989 – nach australischem Vorbild – die erste niederländische Daily Soap „Goede Tijden, Slechte Tijden“, genau wie ihr deutsches Pendant „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ lange Zeit die erfolgreichste TV-Serie des Landes.
Doch 1994 war Schluss mit der Konkurrenz der beiden TV-Unterhaltungskönige: Joop van den Ende und John de Mol machten fortan gemeinsame Sache – Endemol war geboren. Eine Erfolgsstory begann, die nicht nur das kommerzielle Fernsehen in den Niederlanden entscheidend prägen sollte. Das Unternehmen expandierte schnell, 1996 folgte der Gang an die Börse. Die beiden Gründer behielten jeweils etwa ein Viertel der Anteile – und damit die vollständige Kontrolle.
Seit 1994 dem Zusammenschluss hat der Unterhaltungskonzern rund 400 TV-Formate entwickelte, im deutschen Markt liefen bisher u. a. „The Soundmix Show“ (RTL), „Verzeih mir“, „Nur die Liebe zählt“ (beide Sat.1), „Traumhochzeit“ (RTL), „Laß Dich überraschen“ (ZDF) und dann eben „Big Brother“ (RTL II). Showformate stehen nach wie vor an erster Stelle der Produktpalette, doch Endemol ist mittlerweile auch als Produzent von TV-Serien wie „Die Wache“ und „Geisterjäger John Sinclair“ unterwegs.
In über 40 Ländern laufen die Programme aus Hilversum. Und Endemol bleibt seiner grundlegenden Philosophie treu: Produziert wird ausschließlich Unterhaltung, für Nachrichten- und Informationsprogramme ist kein Platz. „Da muss ich mich auf andere verlassen“, sagt John de Mol.
In Holland spricht man schon lange von „Endemolisierung“, wenn man Gleichmacherei meint und die unerbittliche Vermarktung von Gefühlen.
Denn Endemols Strategie sind Gefühle, das Ziel, Intimes vor einem Millionenpublikum auszubreiten: Liebe, Wut, Enttäuschung, Streit, Freude, Tränen: Am Donnerstag erst hat Manuela im Sprechzimmer des deutschen „Big Brother“-Hauses geweint. John de Mol definiert die Grenzen des Fernsehens neu, „Big Brother“ ist da nur das jüngste Beispiel. Besonders von deutschen Reportern wird de Mol daher immer wieder gefragt, ob er Tabus kennt. Ja, lautet dann die Antwort. Eine Selbstmordshow wird nie aus der Endemol-Fabrik kommen, und auch kein harter Sex. Was ist dann mit der „schamlosen Ausbeutung“ von Gefühlen, mit dem „Voyeurismus“? Lakonisch weist der Mann im schicken Anzug dann auf die Quoten: Wenn er den Geschmack der Masse nicht treffen würde, dann würde die doch von selbst wegzappen. Erlaubt ist, was gefällt – und de Mol ist der König des Massengeschmacks. Ob in Deutschland, Spanien, Italien oder Polen – wer den Fernseher einschaltet, sieht eine Liebes- oder Tränenshow nach Endemol-Machart. Europa ist schon endemolisiert, andere Produktionsfirmen und Sender kupfern gnadenlos ab.
Das nächste Ziel: der ganz große internationale Markt:„Internet und Mobiltelefone sind die Zukunft“, sagt John de Mol. Die Spanier bieten die Online- und Telefondienste, Endemol liefert den Inhalt. Und ganz nebenbei verhilft Telefónica den Niederländern zum Brückenschlag nach Lateinamerika.
Doch im neuen Palast der Großbank ABN Amro, die Endemol bei der Fusion mit Telefónica berät, endete am Freitag vor einer Woche auch eine Ära: Joop van den Ende saß still im Publikum, „ausgebrannt“ und gesundheitlich angeschlagen. Ende Mai wechselt er vom Vorstand in den Aufsichtsrat. „Mein Zustand während des letzten halben Jahres hat mir gezeigt, dass es einfach nicht mit derselben Belastung weitergehen kann“, begründet van den Ende seinen Ausstieg aus dem Tagesgeschäft. „Unsere strategische Kooperation mit Telefónica bedeutet weiteres Wachstum für Endemol, und das würde mich persönlich noch stärker fordern. Natürlich hat mich diese Herausforderung gereizt, aber ich weiß auch, dass ich nicht die nötigen Energiereserven schlicht nicht habe.“ Auch John de Mol saß ohne Zigarette da, fast stumm, aber immerhin noch auf dem Podium. „Big Money“ führte das Wort. John und Joop sind keine Bosse mehr. Zwar steht de Mol dem fusionierten Konzern noch fünf Jahre als kreativer Kopf zur Verfügung, seine Managmentfunktionen gibt er aber vollständig ab.
Das wollte er auch so: Er wolle jetzt lieber wieder Programme machen, sagte er. Zurück in die Garage also.
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