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Autofrei und Spaß dabei

Nach europäischem Vorbild beantragen die Grünen vier autofreie Sonntage für Berlin. Die Zustimmung ist groß, nur CDU und ADAC bremsen. Das Abgeordnetenhaus wird nach Ostern entscheiden. Die EU-Kommission hat zu einem europaweiten autofreien Werktag im September aufgerufen

von PLUTONIA PLARRE und SILVIA LANGE

Was in Paris, Mailand, Rom und Palermo zu einem durchschlagenden Erfolg geführt hat, könnte nun auch in Berlin Wirklichkeit werden. Mindestens vier autofreie Sonntage in der Innenstadt wollen die Bündnisgrünen den Berlinern in den Sommermonaten bescheren. Als Schmankerl ist sogar noch ein autofreier Werktag geplant. Sonntag, den 5. oder 18. Juni 2000 soll es losgehen. Der krönende Abschluss ist für Freitag, den 22. September geplant, der von der Europäischen Kommission zum europaweiten autofreien Tag ausgerufen worden ist.

Wenn sich die Bündnisgrünen Hartwig Berger und Michael Cramer mit ihrem Antrag im Abgeordnetenhaus durchsetzen, wird das Gebiet zwischen Oberbaumbrücke und Großem Stern sowie zwischen Invalidenstraße und Kanalufer an den autofreien Tagen für den motorisierten Individualverkehr zur Tabuzone erklärt. Die Straßen werden für Feste und sportliche Aktivitäten freigegeben, nur BVG-Busse dürfen passieren. Aber auch in den übrigen Bezirken sollen die Berliner dazu ermuntert werden, den Wagen stehen zu lassen. „Die kostenlose Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sollte an diesen Tagen selbstverständlich sein“, meinen die Grünen.

„Die Lebensqualität ohne Autoverkehr wird immens steigen“, ist Cramer überzeugt. „Die Menschen werden die Straße als spaß- und freudebetonte Spielstätte für sich und ihre Kinder wieder entdecken“.

Als Vorbild für ihre Initiative haben die Bündnisgrünen Frankreich und Italien vor Augen. Dort werden die autofreien Sonntage schon länger praktiziert. Der Erfolg ist überwältigend.

Auch in Berlin stößt die Idee auf Zustimmung: „Aus dem Bauch heraus finden wir autofreie Sonntage für die stark belastete Innenstadt gut“, erklärt Dagmar Buchholz, Sprecherin von Verkehrssenator Peter Strieder (SPD). Es sei „ganz hübsch“, wenn die Innenstadt zur Flaniermeile werde. Der 22. September sei als Arbeitstag ein Sonderfall, über den die Verwaltung noch nachdenke, so Buchholz.

Ihre Hoffnung, dass die Verkehrsbetriebe besondere, vielleicht sogar kostenlose Tickets für die autofreien Tage anbieten, verlangt der BVG aber offensichtlich ein zu großes Maß an Kreativität ab: „Das muss erst mal juristisch geprüft werden, weil die Zeitkartenbesitzer benachteiligt wären“, erklärte BVG-Sprecherin Barbara Mansfield knapp. Vor fünf Jahren hatte es die BVG immerhin geschafft, ein Sonderangebot von 4 Mark für das ganze Wochenende anzubieten. Damals hatte der Senat anlässlich des Weltklimagipfels appelliert, das Auto freiwillig stehen zu lassen – mit geringem Erfolg. Ingrid Kudirka vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg findet die Idee eines kostenlosen Angebots zwar gut, sie sei aber nicht finanzierbar.

Schützenhilfe bekommen die Bündnisgrünen von SPD und PDS: „Wir finden es gut, wenn man den öffentlichen Raum positiv ohne Autoverkehr als Happening erleben kann,“ meint Jutta Matuschek, verkehrspolitische Sprecherin der PDS. „Ich hoffe sehr, dass viele Menschen mitmachen“, sagt Jürgen Radebold (SPD), Vorsitzender des Umweltausschusses des Abgeordnetenhauses. Allerdings dürfe das Autofahren nicht durch Zwangsmaßnahmen verboten werden. Kostenlose öffentliche Verkehrsmittel hält er „für eine Illusion“. Stattdessen schlägt Radebold kürzere Taktzeiten vor, „damit das Angebot an diesem Tag annehmbar wird“.

Nur der CDU-Verkehrsexperte Alexander Kaczmarek ist gegen den „Vorschlag aus der Mottenkiste der 70er-Jahre“. Er habe den Eindruck, die Alt-68er Berger und Cramer wollten vor allem ihren Jugendtraum einer autofreien Stadt verwirklichen. Auch ADAC-Sprecher Eberhard Lange möchte selbst entscheiden, wann er das Auto stehen lässt und wann nicht.

An dem europaweiten autofreien 22. September wollen in diesem Jahr erstmals auch 35 deutsche Kommunen teilnehmen, darunter die Hansestadt Hamburg.

Im Gegensatz zu der französischen Umweltministerin Dominique Voynet und dem italienischen Umweltminister Edo Ronchi (beide Grüne), die die autofreie Aktion in ihren Ländern regelrecht initiierten, hält sich der grüne deutsche Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) verdammt zurück. „Wir unterstützen den autofreien 22. September“, erklärte Trittins Sprecherin Frauke Stamer.

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