: Die Antwort hat vielleicht der Wind
Regierungschef Simitis ist seriös, aber nicht mitreißend. Rivale Karamanlis versucht sich als Staatsmann und Volkstribun. Wer gewinnt?
von NIELS KADRITZKE
Eigentlich dürfen sie nichts mehr sagen. Also raunen die Demoskopen. Dass es am Sonntag ein Fotofinish geben werde. Kostas Simitis, der Titelverteidiger im grünen Trikot der Pasok, und sein Herausforderer Kostas Karamanlis im blauen Trikot der oppositionellen Nea Dimokratia (ND) liegen Kopf an Kopf. Beide glauben Umfragen zu kennen, die ihnen einen knappen Vorsprung suggerieren. Aber sie können es nicht laut sagen. In Griechenland dürfen in den letzten beiden Wochen vor dem Wahltag keine Umfragen mehr publiziert werden.
Sicher ist: Der Vorsprung der Pasok – noch im Februar bei zwei Prozent – ist abgeschmolzen. Heute liegt der Abstand zwischen Grün und Blau im Promillebereich. Das würde dem Sieger nach dem verstärkten Mehrheitswahlrecht immer noch eine absolute Mehrheit im Parlament einbringen. Aber wer morgen vorn liegen wird, ist so ungewiss wie nie seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie im Jahre 1974.
Die Pasok-Strategen haben sich selbst ein Bein gestellt
Das macht die Pasok und die Regierung nervös. Simitis hat die Wahlen schließlich herbeigeführt, weil er sicher war, am 9. April zu gewinnen. Normalerweise hätten die Hellenen erst im Herbst gewählt. Aber die Regierung nutzte den Verfassungsartikel, der bei einem Ereignis von „nationaler Bedeutung“ einen außerplanmäßigen Urnengang ermöglicht. Damit will sie ihren größten politischen Erfolg in Stimmen ummünzen.
Griechenland wird Mitte Juni beim EU-Gipfel in Portugal in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) aufgenommen. Die WWU-Mitgliedschaft war das große Ziel, das Simitis seit Jahren propagiert und verfolgt hat. Die Qualifikation für den Euro-Klub ist für das Land, das bei Gründung der WWU als einziger EU-Staat die ökonomischen Kriterien nicht erfüllen konnte, die wichtigste Weichenstellung seit dem EG-Beitritt.
Heute fragen sich die Pasok-Strategen, was schief gegangen ist. Und es schwant ihnen, dass ihre schwerste Propaganda-Haubitze nach hinten losgehen könnte: Weil die Regierung dem Volk versichert, die WWU-Aufnahme sei nur noch Formsache, hat sie das Argument entwertet, nur Simitis garantiere die Fortsetzung des erfolgreichen Europakurses. Denn nicht nur die Experten wissen, dass Griechenland in der WWU dem strengen Regiment der Europäischen Zentralbank direkt unterworfen ist. Es scheint also ziemlich egal, ob Karamanlis oder Simitis die Vorgaben aus Frankfurt und Brüssel erfüllen müssen.
Der Herausforderer Karamanlis behauptet heute, die ND sei ohnehin „der authentische Ausdruck der europäischen Orientierung Griechenlands“. Damit reklamiert er das Erbe seines Onkels, des „großen“ Konstantinos Karamanlis, der 1981 den griechischen EU-Beitritt durchsetzte. Und so konzentriert sich „Kostakis“, der kleine Karamanlis von heute, auf die Schwachpunkte der Regierungsbilanz: eine misslungene Schulreform, den kläglichen Zustand der Universitäten, die Mängel im Gesundheitswesen, Ineffizienz und Korruption im öffentlichen Dienst. Sein Problem ist dabei, dem Publikum einzureden, dass ausgerechnet die ND mit der Korruption und Vetternwirtschaft aufräumen kann, auf der jahrzehntelang die Macht der Rechten in Griechenland beruhte.
Dass sich heute beide großen Parteien und ihre Spitzenleute als „Europäer“ und „Reformer“ präsentieren, belegt dennoch einen einschneidenden Wandel der griechischen Gesellschaft. Der alte Populismus hat ausgedient und verkümmert an den Rändern des Wählerspektrums (siehe Kasten: „Was die Wahl entscheidet“). Wer die Regierung stellt, wird im Jahre 2000 in Griechenland – wie in ganz EU-Europa – von den Wechselwählern entschieden. Deshalb stehen sich der grüne und der blaue Wählerblock (beide liegen etwa bei 40 Prozent) mit der Front zur politischen Mitte gegenüber.
Im Kampf um den Wechselwähler ist eine Figur entscheidend, die es nur im griechischen Wahlkampf gibt: der Pendler. Auch an diesem Wochenende werden wieder mehr als eine Million Menschen aus Athen oder Thessaloniki auf die Dörfer fahren, wo sie als Wähler registriert sind. Diese Urnenpendler – ein Produkt des vormodernen griechischen Melderechts – werden von den Parteien generalstabsmäbig erfasst und verschickt: mit Bussen in die Provinz des Festlands, mit Flugzeugen oder Schiffen auf die Inseln. Deshalb müssen die Parteistrategen auch die Wettervorhersagen studieren. Windstärke 10 könnte die Wahlchancen einer Partei auf einer großen Insel wie Lesbos absaufen lassen (für morgen ist Windstärke 5 angesagt). Für die Pasok ist der Pendler besonders wichtig. Während die ND in der Provinz dominiert, liegt die Regierungspartei in den Städten vorn. Das Simitis-Lager hofft nun auf einen kräftigen Zustrom von Argumenten aus den Ballungszentren in die konservativen Regionen hinter den Wäldern. Der Traum des grünen Parteistrategen ist ein gebildeter Pasok-Wähler, der einen Tag vor den Wahlen aus Athen anreist, um am Nachmittag im Kafenion und am Abend vor der dörflichen Verwandtschaft das Lob des Modernisierers Simitis zu singen. Während die moderne Pasok-Wählerin der Oma und Tante hinter dem Rücken ihrer Ehemänner klar macht, warum Simitis für die Frau die bessere Wahl ist.
Simitis zu preisen, ist freilich nicht einfach. Der Regierungschef ist seriös, aber keineswegs mitreißend. Und doch ist er klar populärer als sein ND-Rivale, der sich vergeblich bemüht, die Doppelrolle des Staatsmanns und des Volkstribuns zu geben.
Dabei ist nicht zu übersehen, dass der junge Karamanlis mit seinem hoch respektablen Namen über seine Verhältnisse lebt. Der Neffe „Kostakis“ präsentiert als Wahlkämpfer ein opportunistisch verflachtes Profil, und sein Modernisierungsversprechen klingt nicht viel anders als das von Simitis. Auch an der Außenpolitik der Regierung hat er wenig zu kritisieren. Die vernünftige Balkanpolitik, das gute Verhältnis zu den Nachbarn Bulgarien, Makedonien und Albanien, das gesteigerte Ansehen Griechenlands bei den EU-Partnern – diese Bilanz bietet der Opposition keine Angriffsfläche.
Und die neue Politik gegenüber Ankara, die an der Zustimmung Griechenlands zum EU-Kandidatenstatus der Türkei abzulesen ist, hat Außenminister Jorgos Papandreou dem Wählervolk so einleuchtend dargestellt, dass Karamanlis sich ebenfalls zur Helsinki-Politik bekennen muss. Heute findet es nur noch die kleine linkspopulistische Dikki opportun, mit chauvinistischen Parolen auf Stimmenfang zu gehen.
Nichts zeigt deutlicher, dass Griechenland nach vier Jahren Simitis ein anderes Land geworden ist. Das zeigt sich auch daran, dass das traditionelle Mittel des Stimmenkaufs, das Versprechen von Posten im öffentlichen Dienst für die Kinder und Kindeskinder der eigenen Klientel, keine Rolle mehr spielt. Die Haushaltsdisziplin, die der WWU-Beitritt erfordert, zwingt den Staat zum strikten Stellenabbau. Heute gewinnt, wer dem Gegner nachweist, dass er neue Posten im öffentlichen Dienst versprochen hat. Denn inzwischen wissen auch die Wähler, dass solche Versprechungen unbezahlbar sind.
Außenminster Fischergibt sich undiplomatisch
Entscheidend für den Ausgang der Wahlen wird sein, wie die Parteien ihre Anhänger mobilisieren. Hier lag die ND deutlich in Führung, während die Pasok noch nicht einmal 90 Prozent ihres Wählerpotentials von 1996 ausschöpfen konnte. Sie kann also zumindest hoffen, dass Pasok-Sympathisanten, die aus Enttäuschung über den Realpolitiker Simitis den kleinen Parteien der Linken zuneigen, vor allem Karamanlis verhindern wollen.
1974 wurden die ersten Wahlen nach der Diktatur mit der Parole entschieden: Karamanlis oder die Panzer. Heute setzt die Pasok auf die Alternative: der unerfahrene „kleine Karamanlis“ oder der bewährte Simitis. Und darauf, dass der aufgeklärte Wähler der Mitte keine Experimente will.
Das gilt auch für die EU-Partner Griechenlands. Bundesaußenminister Fischer hat drei Tage vor den Wahlen seinen griechischen Kollegen Papandreou besucht und ihm mit undiplomatischer Offenheit alles Gute gewünscht. Für Sonntagabend hoffe er auf eine positive Nachricht aus Griechenland, damit er ein Glas Wasser auf seinen Freund Jorgos trinken könne. Ob die grünen Wünsche aus Deutschland nützlich sind, bleibt abzuwarten. Noch können die griechischen Wähler der Pasok einen kräftigen Schuss Wasser in den Wein mischen.
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