der nazi und der frisör :
von WIGLAF DROSTE
„Der große Karl Kraus hat einmal gesagt, Feuilletons schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen. Genau dies hat der Literaturkritiker Hellmuth Karasek zwei Jahre lang jedes Wochenende für die Montagsausgabe des Berliner Tagesspiegel getan – und schöne Locken hat er dabei produziert, auch wenn sie einigen konkurrierenden Frisören in der Hauptstadt schon wieder gar nicht gefallen haben, aber so ist das in Kolumnien ...“ So steht es auf dem hinteren Umschlag des KiWi-Paperbacks „Mit Kanonen auf Spatzen – Geschichten zum Beginn der Woche“ (271 Seiten, Schwabbelcover, 18 Mark 90). Vorne sieht man Hellmuth Karasek, wie Robert Gernhardt ihn gezeichnet hat. Gernhardts Bild ist Porträt und Karikatur in einem. Wie sollte es bei Hellmuth Karasek auch anders möglich sein?
Gut 100-mal machte Karasek den Montag zum T-Tag, zum Tagesspiegel-Tag. Nach Art des Mitherausgebers formuliert: Montag war Montagstag. Denn Karaseks „Montagsglosse“ war ein Lebenszeichen von Karasek für Karasek, geschrieben zum Beweis, dass es ihn noch gab. Karasek stellte sein Leben als öffentlicher Mitmischer aus und dokumentierte, wie weit man es bringen kann als Furz in der Brötchentüte.
Nun gibt es dieses Leben als Buch. Karasek schreibt nicht, um etwas zu sagen, und schon gar nicht, um schön zu schreiben. Er schreibt aus Platzhirschgründen: dabeisein, mitmachen, mitschwimmen im Betrieb als Schmock unter Schmöcken. Seine Texte sind margarinig schon im Titel. Sie heißen „Olle Joethen“, „Klon der Angst“ und „Auf allen Viren“, weil Karasek glaubt, das sei lustig, oder „Hand in Handy“, weil er ein Buch geschrieben hat, das auch so heißt. Doch Karasek ist nicht nur matt, sondern auch klebrig. Buckelnd gratulierte er Johannes Heesters zum 95-sten Geburtstag: „Johannes Heesters ist hinreißend. Er wirkt unwiderstehlich, wenn er verkündet: ‚Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.‘ So lautet die leichtsinnige Botschaft der Unverwüstlichkeit. Und siehe da, und siehe Heesters: Sie hilft.“
Johannes Heesters weiß, wie man das Glück des Vergessens erzwingt. „Der ewige Bonvivant, der Dauer-Lebemann“, wie Karasek ihn nennt, ist schon lange in der Unterhaltungsbranche tätig. 1941 trat Johannes Heesters zur Unterhaltung des Wachpersonals im Konzentrationslager Dachau auf. Für KZ-Schergen machte er den Lustigen. Das hat ihm in Deutschland viel Freundschaft eingebracht. Als 1993 das niederländische Dachau-Komitee den ZDF-Intendanten Dieter Stolte beschwor, eine zu Heesters’ 90-stem Geburtstag geplante Festgala nicht zu senden, wurden die ehemaligen Häftlinge von Stolte belehrt, dass „rechtsradikalen Tendenzen in Europa eher Vorschub geleistet werde, wenn man den Forderungen des Komitees entspräche“. Denn wenn man die Deutschen provoziert, indem man willige Nazi-Mitläufer nicht hofiert, können sie sehr böse und sehr rechtsradikal werden, obwohl sie es eigentlich gar nicht sind. Dann wehren sich die Deutschen, dann wird, wie sie sagen, zurückgeschossen. Karasek schreibt in seiner Gratulationsglosse über Heesters, „dass das Leben Verwüstungen anrichtet, solche, die nie wieder gutzumachen sind“. Es spricht der Adabei-Frisör, der einen Nazi-Adabei frisiert.
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