: Das sportliche Stiefkind
Gegenüber „Fun-Sport“ und Mountainbiking führen klassische Bahnrennen ein Nischendasein. Velodrom-Events dienen als Gegenmittel. Auch kleinere Vereine profitieren vom Zuschauerandrang
von CHRISTOPH RASCH
Die Radsportvereine müssen umdenken. „Freizeit“, „Fun-Sport“ und Mountainbiking sind angesagt. Der Wettkampf auf der ovalen Radrennbahn hingegen droht – sogar international – zum sportlichen Stiefkind zu werden. Auf Dauer „können sich nur wenige Vereine die kostspielige Vorbereitung ihrer Teams leisten“, warnte Manfred Böhmer, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, bereits im vergangenen Jahr. Böhmers Lösungsvorschlag: „Der Bahnsport muss kommerzialisiert werden“, um Bahnen zu finanzieren und so ein regelmäßiges Training zu gewährleisten und Teams zu Bahnwettkämpfen schicken zu können.
Den „Kommerz“-Weg geht man seit drei Jahren auch in Berlin. Im Frühjahr 1997 öffnete das Velodrom an der Landsberger Allee – damals noch mit Ausnahmegenehmigung – seine Tore. Seit Sommer 1997 wird es – wie die ebenfalls im Prenzlauer Berg neu errichtete Max-Schmeling-Halle – von der Firma Velomax Berlin Hallenbetriebs GmbH verwaltet. Zugkräftiges „Highlight“ war und ist das noch vor der offiziellen Eröffnung 1997 gestartete Sechstagerennen. Mit leicht steigender Zuschauertendenz – in diesem Jahr kamen 70.000 – sind die Berliner Sixdays nach ihrem Niedergang 1991 eine wiederbelebte feste Größe in der Berliner Sport- und Ereignislandschaft. Die Hoffnung der Veranstalter und der Sportvereine, „das Ereignis sollte auf den gesamten Berliner Radsport ausstrahlen“, scheint zu fruchten.
„Weil der Radsport stärker in den Medien vertreten ist, haben die Vereine etwas mehr Zulauf“, sagt etwa Wolfgang Scheibner, Präsident des Berliner Radsportverbands. Der Verband vertritt 39 Vereine mit rund 3.000 Mitgliedern. Insgesamt stagnieren die Mitgliederzahlen jedoch. „Bis zum nächsten Mitgliederschub muss noch eine Tour de France gewonnen werden“, sagt Scheibner.
Deshalb nutzt man im Verband das Berliner Sechstagerennen als willkommene Promotion. Dort sind die Nachwuchs-Wettbewerbe des Radsportverbands inzwischen fester Bestandteil des Programms – „sonst haben unsere Sportler keine Chance, sich vor einem so großen Publikum Rennen zu liefern“, berichtet Scheibner freudig.
Auch die von den Radsportvereinen organsierten Europa- und Weltmeisterschaften im Bahnradfahren lockten jeweils rund 15.000 Besucher in die Halle. Ende Juni stehen die Berliner Landesmeisterschaften an. Scheibner: „Die Vereine brauchen dringend ein solches öffentlichkeitswirksames Forum.“ Denn Verbandsaktivitäten wie die seit 1993 ausgerichtete „Kids-Tour“ sind zwar „erfolgreich, belasten uns aber auch finanziell erheblich“.
Das Velodrom steht dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR) und dem Berliner Radsportverband (BRV) zudem an über 100 Tagen pro Jahr für Trainingszwecke zur Verfügung. Dort trainieren – dann allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit – Vereine in allen Altersklassen. Für die jährlichen Trainingstage handelt der Hallenbetreiber mit den Sportverbänden einen genauen Belegungsplan aus, berichtet Scheibner.
Bei Veranstaltungen müssen die Vereine weichen
Private Veranstalter müssen für die Halle rund 50.000 Mark Miete am Tag berappen. Für die Radsportvereine übernimmt der Senat die Kosten – zum Sonderpreis von 20.000 Mark. Folge: Stehen Konzerte oder andere profitable Veranstaltungen an, müssen die Vereine weichen. „Den Fahrern sind die Trainingstage natürlich nie genug. Spontane Trainingsstunden lässt die strikte Planung nicht zu“, sagt Scheibner, der das Zusammenspiel dennoch vergleichsweise gut funktionieren sieht: „In anderen Städten fliegen die Vereine aus Mehrzweckhallen ungefragt raus, wenn Konzerte anstehen.“
Den Vereinsradlern kommen in Berlin bauliche Umstände zugute. Die Fichten-Bahn im Velodrom ist nämlich fest eingebaut. „Wäre sie einfach abzubauen, müssten wir wohl häufiger anderen Veranstaltungen Platz machen“, vermutet Scheibner. Alternativen gibt es für die Sportler in Berlin jedenfalls nicht. Als an der Landsberger Allee noch die Baubrache gähnte, mussten die Vereine ihre Bahnspezialisten eben in Frankfurt (Oder) strampeln lassen. Die Zusammenarbeit zwischen Velomax und Radsportverband „ist ein konstruktives Geben und Nehmen“, betont Wolfgang Scheibner.
Das finden auch die Betreiber. „Das Radsporttraining ist ein wichtiger und integraler Bestandteil des Velodroms geworden“, sagt Velomax-Sprecherin Edeltraut Damaschun. Derzeit verteilen sich rund 200 „Bahn“-Spezialisten der Berliner Vereine auf die Trainingstage und strampeln im Oval, in den Trainingsräumen oder auf dem Ergometer. Damaschun: „Ohne das wäre ein professioneller und gezielter Aufbau von Nachwuchsradsportlern nicht möglich.“
Daran wollen beide Seiten festhalten. Denn immerhin steht man in erfolgreicher Tradition: Rund ein Viertel des Olympiakaders, berichtet Wolfgang Scheibner, komme aus Berlin, „und auch Jan Ullrich und Erik Zabel haben hier ihre Wurzeln“.
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