piwik no script img

Milch macht Manager müde

Milchkonzern Nordmilch will letzte Molkerei in Leer schließen / Auch in Sittensen und Schleswig soll keine Milch mehr fließen / Statt Modernisierung Managementfehler?

Leer - Nichts Gutes verheissen die wabernden Nikotinnebel im Konferenzzimmer der Leeraner Nordmilch Molkerei. „Wir sitzen im Milchtopf Ostfriesland, aber wir haben keine Molkerei mehr, das Gold des Nordens zu verarbeiten.“ Wütend saust die Faust vom Betriebsratsvorsitzenden Thomas Boekhoff durch die Luft und signalisiert Kampfbereitschaft. Seit 40 Jahren trägt der zierliche Mann seine Haut in seinem Milchwerk zum Markte. Wenn es aber nach dem Besitzer der Molkerei geht, dann wird nächstes Jahr Boekhoffs letztes Arbeitsjahr sein. Die Nordmilch eG Zeven im Oldenburger Land, will von ihren 18 Milchwerken Schleswig (Schleswig-Holstein), Sittensen (Landkreis Rotenburg/Wümme) und das im ostfriesischen Leer schliessen.

Damit verliert Leer wieder einen Traditionsbetrieb. Die Wunden der Schliessung der Janssen-Werft und der Olympia-Werke sind noch nicht verheilt, da ereilt „die Libby“ der plötzliche Wirtschaftstod. Denn in Leer heisst die 1926 gegründete Molkerei nach ihrem vorletzten Besitzer immer noch „Libby“. „Wir haben zwei Weltkriege überstanden. Jetzt macht uns die Gier der Bauern und die Unfähigkeit des Managements den Garaus“, schimpft Boekhoff. Der Witz: Die Leeraner Molkerei erwirtschaftet Gewinn. Das Pech: Die Nordmilch ist eine bäuerliche Genossenschaft. Die Bauern wollen ihre Milch meistbietend verhökern. Ein bislang unbekanntes Gutachten stellt fest, nur wenn in der Produktion gespart wird, bekommen die Bauern mehr Geld für ihre Milch. Am 6. Juli wollen die sich treffen, um endgültig über das Schicksal der Molkereien in Leer, Sittensen und Schleswig zu entscheiden. Die Rechnung: 173 Arbeitsplätze in Leer plus 200 Arbeitsplätze bei Zulieferern stehen auf dem Spiel. 290 Arbeitsplätze in Schleswig und 331 in Sittensen sind gefährdet. Ohne sie bekommen die etwa 12.000 Milchlieferanten der Nordmilch ein paar Pfennig mehr für ein Kilo Milch.

Dabei wurden für die Kondesmilchproduktion in Leer gerade 1,5 Millionen Mark für eine neue Dosenherstellung investiert. 500.000 Mark kostete es vor einem halbem Jahr eine neue Produktionsstraße für Sahne zu installieren. Hauptsächlich wird in Leer Instant-Trockenmilchpulver hergestellt. „Unsere Produkte sind zu 100 Prozent für den Export bestimmt“, erklärt Boekhoff. In der Regel werden sie über Holland in Länder ohne eigene Milchproduktion, etwa Arabien, verfrachtet.“

Durch verschiedene Fusionen hat sich die Nordmilch zum größten Milchkonzern Deutschlands aufgeschwungen. Marken wie Milram, Oldenburger, Bremerland, Hansano und Botterbloom werden über die Nordmilch vertrieben. Das Gros der Milch fließt aber in die Käseproduktion. Und das ärgert Thomas Boekhoff: „Bei Nordmilch macht‘s doch nur die Masse. Statt einen Käse wirklich im Lager vier Wochen reifen zu lassen, reift er im LKW auf dem Weg zum Kunden. Was hinten dann rauskommt ist Kaugummi.“ Der Leeraner Betriebsrat hat schon lange eine Ausweitung der Produkte in Leer gefordert. „Uns wurden gute Produktentwicklungen einfach verboten herzustellen. Dann wurden wir von Nestle übernommen und durften dieses Produkt nicht mehr herstellen“, sagt Boekhoff. In den Leeraner Labors lagern noch Proben von exquisitem Milchreis. Weil das Nordmilch Managment beleidigt war, nicht selbst auf die neue Produktidee gekommen zu sein, stellten sie den Milchreis auf den Index. Jetzt verdient sich eine Molkerei aus Süddeutschland eine milchige Nase damit: „Alles Müller oder was?“

Die Aussichten für Leer? „Was sollen wir streiken, uns sieht hier doch eh keiner“, resigniert Betriebsrat Boekhoff. Wenn aber alle Nordmilcher streiken? „Ist nicht drin, entweder sind die nicht organisiert oder die KollegInnen in den anderen Betrieben sind nur froh, das es sie nicht erwischt hat.“ Zur Zeit versuchen Stadtverwaltung, Kreis, Landes- und Bundespolitiker in einer konzertierten Aktion die Nordmilchführung unter Druck zu setzen, um die Schließung der Leeraner Molkerei zu verhindern oder Alternativen zu finden. Immerhin weist Leer mit die höchsten Arbeitslosenzahlen im Regierungs-bezirk Weser-Ems auf. „Die Belegschaft könnte den Betrieb auch übernehmen“, träumt Thomas Boekhoff, „aber nur wenn er so erhalten bleibt, wie er jetzt ist. Aber die Nordmilch wird sich hüten, sich einen Konkurrenten in den Pelz zu setzen. Eher hinterlassen die eine Ruine.“

Thomas Schumacher

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen