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Familienglück perfekt

Kirch und Springer bestätigen den Senderverbund. ProSieben, Kabel 1, N 24 und Sat.1 gehören künftig unter einen Hut. Optimalere Verwertungsketten bedeuten noch mehr Wiederholungen

von STEFFEN GRIMBERG

Eine schreckliche nette Familie ist seit Dienstag Abend perfekt – und Springer bleibt an Bord. Die privaten TV-Sender Sat.1, ProSieben, Kabel 1 und der Nachrichtenkanal N 24 gehen in einer gemeinsamen Holding auf, Deutschland hat damit endlich auch offiziell seinen neuen Fernsehriesen.

Die Verhandlungen des an Sat.1 beteiligten Axel-Springer-Verlags (ASV) mit der Münchener Kirch-Gruppe, die die Mehrheit an allen vier Sendern hält, schleppten sich über Monate hin. Vor allem Verlegerwitwe Friede Springer, die im ASV-Vorstand nach wie vor das letzte Wort hat, gab in Sachen Familienplanung die zickige Schwiegermutter. Sie stand einer weiteren Beteiligung an Sat.1 skeptisch gegenüber – schließlich ist der Sender nicht gerade eine Goldgrube. Die Anlaufverluste des 1984 gestarteten Kanals werden auf eine runde Milliarde Mark geschätzt, schwarze Zahlen seit gerade einmal zwei Jahren geschrieben. Springer zahlte bisher also immer drauf – über 300 Millionen Mark insgesamt, hieß es gestern am Rande der ASV-Hauptversammlung in Berlin.

Der Deal, dessen Einzelheiten noch ausgehandelt werden müssen, stand so bis zuletzt auf der Kippe. Doch nach vollzogenem Sinneswandel (August „Gus“ Fischer, ASV-Vorstandsvorsitzender: „Ganz aktuell kann ich heute mitteilen, dass die Gründung einer Senderfamilie beschlossen worden ist“) war Optimismus angesagt. „Wir sind der Holding beigetreten, weil wir an die Senderfamilie glauben“, verkündete ASV-Sprecherin Edda Fels.

Auch die im Vertrag vorgesehene Ausstiegsoption sei eine bei solchen Abmachungen übliche „vorsorgliche Maßnahme“ und bedeute keineswegs, dass Springer sein Engagement bei der neuen Holding befristet sieht.

Der Sieger indes fehlte in der 19. Etage des Berliner Springer-Hochhauses: Leo Kirch ließ sich mit einer schweren Sommergrippe entschuldigen und hütete in München das Bett.

Dort schlägt auch das Herz der neuen Holding, die bei der Namensfindung wenig Kreativität beweist: ProSieben Sat.1 Media AG wird der TV-Koloss heißen und Kirch über seine Tochterfirma KirchMedia mit rund 52,5 Prozent der Anteile das Sagen haben. Springer ist mit etwa 11,5 Prozent Juniorpartner.

Für den „Hauptstadtsender“ Sat.1 bedeutet die liebevolle Umarmung durch die Senderfamilie einerseits eine deutliche Entlastung, andererseits dürfte der Kanal aber auch spürbar an Unabhängigkeit verlieren. Denn anders als ProSieben (mit Kabel 1) oder RTL (mit RTL 2) verfügte Sat.1 bisher nicht über einen hauseigenen „Abspielkanal“, der durch Mehrfachverwertung der teuren Senderechte oder ambitionierter Eigenproduktionen zusätzliche Werbeeinnahmen in die Kassen spülte.

Jetzt kann also gespart werden: „Gemeinsam können wir die Effizienz bei allen Sendern deutlich steigern“, frohlockte Sat.1-Programmgeschäftsführer Fred Kogel gegenüber der Agentur AP. Auf mindestens 200 Millionen Mark pro Jahr bezifferte er das „Synergiepotenzial“.

Nur haben wird er wohl nicht allzu viel davon: Kogels Vetrag läuft bald aus, und am Familientisch scheint dann kein Platz mehr für den umtriebigen Querdenker zu sein, der Sat.1 zwar einige wenige qualitative Höhepunkte (wie die „Harald Schmidt Show“), aber auch kostspielige Flopps (Neuverfilmung alter Kinoschlager als „German Classics“) bescherte.

Die alles entscheidende Quote meint es nicht gut mit Sat.1, offenbart aber die nackte Wahrheit: Während Marktführer RTL sich auch gegen die Einschaltrekorde von ARD und ZDF dank Fußball-Europameisterschaft passabel behauptet, rutscht der Sat.1-Marktanteil gefährlich auf den von ProSieben zu. Zu allem Überfluss entwickelt sich der ehemalige Spieflim-Sender durch neue Formate wie Dokumentationen und Magazinreihen allmählich ebenfalls zum echten Vollprogramm.

Als neuer starker Fernsehmann gilt am Kirch-Standort Unterföhring konsequenterweise Ludwig Bauer, schon heute erfolgreicher Fernsehchef von ProSieben und Kabel 1. Nach erfolgter „Eingemeindung“ von Sat.1 möchte der auch in Berlin gerne mitreden, und schnell soll es auch gehen: Die Integration der Senderfamilie will man möglichts bis Ende des Jahres unter Dach und Fach bringen.

Ob der Senderverbund kartellrechtliche Hürden zu nehmen hat, die die hehren Pläne zumindest verzögern könnten, ist noch unklar: Für eine entsprechende Überprüfung muss zunächst einmal ein Gesellschaftervertrag vorliegen. Drastische Auflagen der Wettbewerbskontrolleure oder der Medienaufsicht sind aber nicht zu erwarten.

Nur der Zuschauer hat nichts von alledem: Die „Optimierung der Verwertungsketten“ lässt sich im Allgemeinen schlicht mit „noch mehr Wiederholungen“ übersetzen, beliebt sind auch spinnoffs oder making-ofs – RTL2 exerziert’s gerade an der Ausschlachtung des „Big Brother“-Mythos vor.

Richtig glücklich mit den engeren familiären Banden wird auch Leo Kirch nicht; die Gretchenfrage, ob er einen Spitzentitel aus seinem Filmfundus jetzt bei Sat.1 oder ProSieben ins Programm schickt, bleibt. Das Hauptproblem seines Konzerns liegt ohenhin ganz woanders – nämlich bei der lahmenden Pay-TV-Plattform Premiere World.

Und auch im gerade für das Bezahlfernsehen entscheidenden Bereich der Sportrechte wirkt die Gründung der Senderfamilie fort: ISPR, die Agentur, die vor kurzem Milliarden für die kommenden Fußball-Bundesligen bot, gehört je zur Hälfte Springer und Kirch. Wie angekündigt, soll ISPR mit den anderen Kirch-Sportrechtagenturen ebenfalls in einer neuen Holding, der KirchSport, aufgehen. Hier, so eine ASV-Mitteilung, sei „eine analoge Regelung“ geplant.

Die Bundesliga wird so zum Prüfstein für Sat.1 und Premiere World: Ohne „ran“ ginge der Durchschnitts-Marktanteil von Sat.1 völlig in den Keller. Eigentlich müsste aber noch mehr als die Live-Spiele der Bundesliga ins Pay-TV abwandern, um Premiere die dringend benötigten Abonnenten zuzutreiben. Mit diesem Dilemma wird sich jetzt auch die Axel-Springer-Verlags-AG weiter herumschlagen müssen. Wie sagte doch „Gus“ Fischer gestern in seiner Vorstandsrede: „Es gibt keine Schutzräume und keine Schonzeiten mehr.“

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