: Demonstration gegen Nordmilch-Aus
■ Bei der Nordmilch eG sollen drei Werke geschlossen werden / Insgesamt 400 Arbeitsplätze sind gefährdet / Erboste Arbeiter demonstrieren in Bremen / Interview mit einem Betriebsratsvorsitzenden
Bremen/Schleswig – Das Aus für drei von 14 Werken der Molkereigruppe Nordmilch eG in Zeven steht jetzt fest. Die Vertreterversammlung habe gestern in Bremen das neue Standortkonzept des Vorstandes der Genossenschaft abgesegnet, sagte der Betriebsratsvorsitzende des betroffenen Werkes Schleswig, Peter Schmidt. Zuvor hatten zahlreiche Mitarbeiter in Bremen gegen eine Schließung demonstriert. Für das profitabel arbeitende Werk mit 92 Beschäftigten gelte es nun, eine möglichst gute Folgelösung zu finden. Außer Schleswig sind außerdem die Nordmilch-Werke Leer und Sittensen betroffen.
Mehr als 400 Beschäftigte der Nordmilch empfingen mit Trillerpfeifen und Transparenten wie „Das Schleswiger Butterwerk darf nicht sterben“ und „Unsere Nordheide zu Tode fusioniert“ die Teilnehmer der Vertreterversammlung vor dem Bremer Tagungsort. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) beteiligten sich Delegationen aller Standorte, die bis zum Herbst 2001 geschlossen werden sollen.
In der Vertreterversammlung habe es Diskussionen über die Schließungen sowie heftige Kritik der Arbeitnehmerseite und von Landwirten an der Informationspolitik des Vorstandes gegeben, sagte Schmidt. Letztlich hätten die stimmberechtigten Vertreter ihr Votum für das Vorstandskonzept gegeben.
Der neue „Milchriese“ war nach der Fusion der Nordmilch und ihrer Milch-Erfassung sowie mit den Molkereibetrieben Hansano Milchhof Niedersachsen, Bremerland-Nordheide Molkerei eG (Stuhr/Sittensen) und MZO Oldenburger Milch eG rückwirkend zum 1. Januar 1999 entstanden. In Bremen wurde gestern der erste Konzernabschluss vorgelegt.
Über die beschlossenen Werksschließungen sprach die taz bremen mit Thomas Boekhoff (62), Betriebsratsvorsitzender der Nordmilchwerke in Leer.
taz: Herr Boekhoff, konnte man nach der Fusion der Nordmilch Genossenschaft mit anderen Milchverarbeitern mit drastischen Maßnahmen der Betriebsleitung rechnen?
Thomas Boekhoff: In Leer nein, denn schließlich schreiben wir schwarze Zahlen und können mit unserer Milchpulverproduktion einen erfolgreichen Produktions-zweig vorweisen. Für uns hier in Leer, ist die Schließung des Werkes ein eiskalter Schlag der Geschäftsleitung.
Nun schlachtet aber auch ein böser Kapitalist nicht so ohne weiteres eine Kuh, die goldene Eier legt.
Nein, aber das wäre nicht der erste Managementfehler.
Nennen Sie andere Managementfehler.
Zuerst: Die Geschäftsleitung hat sich in eine Zwickmühle manövriert. Nach der Fusion im letzten Jahr hat die Nordmilch durch Kündigungen eine Menge Milchzulieferer verloren. Dadurch fehlt der Nordmilch Milch. Sie hat damit Überkapazitäten in den anderen Molkereien provoziert. Die fehlende Milchmenge versucht sie jetzt durch die Schließung der Werke in Leer, Sittensen und Schleswig wieder herein zu bekommen.
Aber das Leeraner Milchpulver ist doch eigentlich ein absoluter Verkaufsschlager.
Ja. Diese Produktion soll abgezogen werden. Die meiste Milch braucht der Konzern aber für die Käseherstellung. Käse nach Russland, damit ist die schnelle Mark zu machen.
Sie sprachen von einer Zwickmühle. Die fehlende Milchmenge ist die eine Seite. Was ist denn die andere Seite der angesprochenen Zwickmühle?
Die Bauern! Die Bauern wollen mehr Geld für ihre Milch. Würde ich als Bauer auch wollen. Die Bauern setzen die Nordmilch unter Druck. Ich bezweifle aber, dass Nordmilch den Bauern tatsächlich mehr Geld zahlen kann.
Angeblich soll ein Gutachten der Münchener Beratungsfirma Gemini Grundlage der Firmensanierung sein. Kennen Sie dieses Gutachten?
Das Gutachten wurde uns nie vorgestellt.
Dem Gesamtbetriebsrat auch nicht?
Nein. Selbst die Stadt Leer hat es nicht bekommen, als sie um Einsicht bat. Wir sollen der Geschäftsleitung glauben, dass wir weggeputzt werden müssen. Die entsprechenden Zahlen dürfen wir nicht nachprüfen. Aber ich befürchte, der Grund, weswegen wir das Gutachten nicht sehen dürfen, ist viel dramatischer.
Spannen Sie mich nicht auf die Folter.
Ich glaube in dem Gutachten steht, das die Nordmilch sich allein durch die Schließung der drei Werke nicht sanieren kann. Da kommt noch was nach.
Was sind unter diesen Umständen die Ziele des Kampfes der Belegschaft?
Sieht schlecht aus. Belegschaft, Stadt, Kreis und Landes- sowie Bundespolitiker versuchen eine alternative Produktion für Leer zu finden. So wie das Werk jetzt besteht, wird es möglicherweise nicht weiterbestehen können. Aber gerade die schwer vermittelbaren Kollegen um die vierzig brauchen eine Perspektive. Dann müssen wir so viele wie irgend möglich in anderen Nordmilch-Werken unterbringen. Dazu hat sich die Geschäftsleitung noch nicht geäußert. Dann brauchen wir ausreichende Sozialpläne. Hier haben wir bislang ganz gute Ergebnisse erzielt.
Jeti/dpa
Fragen: Thomas Schumacher
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