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Quadratische Gedanken

Zeitgeschichte im Fernsehsessel (Teil 1). Mit dem Wirtschaftswunder wird die „Tagesschau“ erfunden, wir werden Weltmeister – aber eine Schicksalsfrage bleibt: „Was will der Mensch im Weltraum?“

von KARL WACHTEL

Das Jahrzehnt ab 1950 wurde durch drei Großereignisse geprägt: meine Geburt, die Einführung des Fernsehens und durch ein „Wunder“. Die ersten beiden wurden anfänglich eher leidenschaftslos zur Kenntnis genommen. Das Wirtschaftswunder hingegen hatte alle ergriffen, und vorerst mochte sich niemand davon erholen.

Im Jahre 1952 beginnt der NWDR mit der täglichen Ausstrahlung des ersten deutschen Fernsehprogramms von 20.00 bis 22.00 Uhr. Es bedurfte aber zweier großer Ereignisse, um die „Fernsehnation“ für das Medium zu interessieren: Die Krönung der englischen Königin (Elisabeth die Zweite) und die Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz (Sepp Herberger) machte alle Deutschen zu Weltmeistern – das hatte überzeugt, und ab da ging alles sehr schnell.

1955 gab es schon 84.000 Fernsehgeräte, 1957 bereits wird die Millionengrenze überschritten. Mit dieser rasanten Entwicklung musste das Fernsehprogramm natürlich mithalten. Gekrönte Häupter fallen nun mal nicht vom Himmel, und Fußballweltmeister sind wir erst wieder 1974 (Helmut Schön) geworden.

Das neu geweckte Bedürfnis, sich die Welt in die Wohnzimmer zu holen, und die neue Lust auf intime Pantoffelunterhaltung konnte mit zwei Stunden Abendprogramm täglich nicht mehr gestillt werden. Schon 1954 gab es deshalb neben dem Abend- auch ein Nachmittagsprogramm für Kinder, Hausfrauen – und über Tiere. Das Programm wuchs zusammen wie ein Puzzle, und die fehlenden Stücke dazwischen verschafften uns das Vergnügen von unvergessenen Umschaltpausen, die bis zu 20 Minuten dauern konnten. Eine weitere Neuerung, die Lücken zu schließen, war die Einführung von Regionalsendern und, klar, die Einführung von Werbung ins Programm (der Bayerische Rundfunk war dabei am schnellsten am Ball).

Der Programmumfang wuchs aber auch durch aufwendigere Produktionen, wie die großen Unterhaltungssendungen mit Quiz und musikalischem Entertainment, gesendet aus großen Veranstaltungssälen, die die Familie rundum frisch gebadet am Samstagabend genoss. Auch vor Fernsehopern schreckte man nicht zurück. Als der Fundus an aufführbaren Theaterstücken erschöpft war, trat das Fernsehspiel seinen Siegeszug an. Den Anfang machte Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“ im Jahre 1957.

Uns Fernsehkindern der ersten Stunde war die anfängliche Reserviertheit der Eltern gegen das magische Viereck egal. Mochten sie doch ihr Geld für unwichtigere Sachen verplanen oder den Fernseher hinter dicken Eichentüren verschließen, wir fanden immer einen Weg. Mal frierend vor den Fensterscheiben des ortsansässigen Elektrohändlers, mal als getarnter Lieblingsneffe.

„Was will der Mensch im Weltraum?“ – als Professor Haber diese Frage eine Stunde lang auf dem Bildschirm behandelte, waren wir (wie Generationen nach uns immer noch) natürlich ratlos – aber glücklich, weil das Flimmern unsere neue Sucht befriedigte. Unsere Frage lautete nämlich ganz schlicht: „Was will der Mensch vom Fernsehen?“, und auf diese Frage hatten wir aus dem Ärmel eine ganze Reihe guter Anworten parat: Die Auflösung aller Werte, als die Karnevalssendung „Mainz wie es singt und lacht“ (1955) ausgestrahlt wurde; die Erstausstrahlung von Otto Höpfners „Zum blauen Bock“ (1958), in dem schon nachmittags Alkohol getrunken werden durfte; der Aufschrei der Nation, als Robert Lembke am 21. März 1958 verkündete, das heitere Beruferaten und Schweinderlmästen hätte ein Ende (Gott sei Dank kam es anders); das „Fernsehgericht“ tagte, und Lou van Bourg versprach „Jede Sekunde einen Schilling“, und Heinz Maegerlein stellte entnervt immer wieder dieselbe Frage „Hätten Sie’s gewußt?“; die Geburtssstunde der „Tagesschau“ (1959), mit einem Sprecher – Karl-Heinz Köpke – der schon damals 12 verschiedene Dienstanzüge und 40 Krawatten besaß und vor allem weibliche Zuschauer in die Innen- und Außenpolitik getrieben haben soll.

Das war gut so, denn zum ersten Mal bekamen wir richtige Nachrichten und keine kommentierten Filmbilder von Paraden, vorfahrenden und abfahrenden Autos und Politikerköpfen, die nicht preisgaben, was in ihnen vorging.

Peter von Zahn begeisterte mit seiner Reihe „Bilder aus der Neuen Welt“. Aber auch da ging es recht unpolitisch zu. Wir erfuhren etwas über Briefkästen, wer welche Aufgaben in der Familie von Zahn zur Bewältigung des Alltags übernehmen musste oder wie komfortabel eine amerikanische Durchschnittsküche eingerichtet war. Doch das war egal. Wir träumten vom „Duft der großen weiten Welt“, und die Firma Bauknecht hatte ja auch schon erkannt, was sich unsere Mütter wünschten.

Hans Hass schickte aufregende Unterwasseraufnahmen aus dem Roten Meer, und Bernhard Grzimek lieferte Filmbilder vom Leben der Elefanten und Löwen aus der Serengeti. Wir hingen am Draht, dachten quadratisch und sahen keinen Grund, den Bildern und Geschichten, die in unsere Wohnzimmer kamen, zu misstrauen.

Kein Wunder in einer Zeit, in der Scharlatane die Häuser unserer Eltern mit falschen Klinkern verkleideten, mit billigen Folien die Erfindung des Farbfernsehens antizipierten und Schlagertexter ohne Schaden behaupten konnten: „Es fährt ein Schiff nach Santiago de Chile“.

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