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Terror bei der Bundeswehr

Erstmals machen sich Angehörige der Bundeswehr – vom Zeitsoldaten bis zum Schiffsarzt – in Berlin in einem Seminar über Techno und Drogen schlau. DJs klären sie vor der heutigen Love Parade auf

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Es war der Militärgeistliche, der der Besatzung einer Bundeswehrfregatte in Wilhelmshaven die frohe Botschaft brachte: Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland e. V. geht in ihrer christlichen Nächstenliebe im Jahr 2000 neue Wege und lädt zu einem Love-Parade-Seminar nach Berlin. „Da habe ich mich spontan entschieden“, erzählt ein Schiffsarzt, der weder seinen noch den Namen der Fregatte in der Zeitung lesen will. Weil von der Kirche organisierte Seminare „etwas verpönt“ seien, fürchtet er sich vor der „Bundeswehrklatschwelle“.

Beats und Drogenkunde

Der 31-Jährige will sich in die Technowelt „einfühlen, um am Puls der Zeit zu bleiben“. Er selbst steht auf Schlager à la „99 Luftballons“, sein Drogenkonsum beschränkt sich auf Alkohol und Zigaretten. Obwohl er weiß, dass es unter Berufssoldaten „massenhaft Alkoholiker gibt“ und das Problem „verschwiegen wird, bis etwas passiert“, will er sich bei dem Seminar über „Bewusstseinsveränderungen“ durch andere Drogen informieren: schnelle Beats und Partypillen. Denn er weiß, dass auch Angehörige der Bundeswehr „im Zusammenhang mit Musik Drogen nehmen“. Nur: „Ich kann es nicht beweisen.“

Der Schiffsarzt und weitere 15 Angehörigen der Bundeswehr – in der Mehrzahl Zeit- und Berufssoldaten, Sozialarbeiter und technische Mitarbeiter aus den alten Bundesländern – haben größtenteils Sonderurlaub für das viertägige Seminar bekommen. Mit einer Eigenbeteiligung von 200 Mark wird ihnen vom Kulturmanagement Elfert und Partner ein umfassendes Hauptstadtprogramm geboten. Neben einem Besuch des Reichstags, des Potsdamer Platzes und von „Szenevierteln“ dreht sich alles um Techno und Drogen. Höhepunkt ist natürlich die heutige Love Parade, an der sie als „Beobachter“ teilnehmen.

Ein 41 Jahre alter Fernsprechstellenleiter freut sich, „ausgeflippte Typen“ statt im Fernsehen in natura zu sehen. Außerdem interessiert ihn, „was so abgeht“ in Technoclubs und ob die Leute dort „auf den Toiletten rumhängen“. Eine Sozialarbeiterin mit grellgrünen Kontaktlinsen will sich „über Drogengeschichten“ schlau machen. Zu Drogen bei der Bundeswehr will sie nichts sagen.

Sprünge in der Platte

Damit die Seminarteilnehmer gut vorbereitet das Phänomen Love Parade ergründen, haben sie sich im Vorfeld unter anderem mit der Geschäftsführerin des „Tresor“, dem bekanntesten Technoclub, und jungen DJs getroffen, die im Programm „Party People“ heißen. Bereitwillig plaudern diese über die veränderte Stimmung in den Clubs, schwindendes Familiengefühl und über „bewussten Drogenkonsum“. Zwischendurch gibt es immer wieder Techno-Musik mit bis zu 140 Beats pro Minute. Die meisten Teilnehmer sehen die Klangbeispiele weniger als Musik denn als Sprünge in der Platte. Aber zumindest können die DJs dem Fernsprechstellenleiter helfen, der wissen will, ob er sich mit seinen 41 Jahren im „Tresor“ einfach so an die Tanzfläche stellen könne. „Wird man da akzeptiert?“, fragt er. Als er erfährt, dass es in den Clubs auch Leute über 50 gibt und jeder kommen darf, ist er zufrieden.

Gabba vom Feinsten

Richtig harte Kost sind die Klangbeispiele, die der Organisator der Fuck-Parade auflegt. Der Frankfurter Martin Klien, der seit vier Jahren die Gegendemo zur Love Parade organisiert, schont die Seminarteilnehmer nicht. Da hämmern die Beats wie Dauerfeuer und schreit eine zarte Kinderstimme „Ich töte dich!“, bis sich einige die Ohren zuhalten – Gabba vom Feinsten.

Klien, der in einer Frankfurter Internetagentur mit der Erstellung von Webseiten „ein Schweinegeld“ verdient und einmal im Monat als DJ „Trauma XP“ irgendwo in der Weltgeschichte Platten auflegt, schaut amüsiert in die Runde und sagt, was selbst die Techno-Unbelecktesten schnell gemerkt haben: „Das ist nicht unbedingt Mainstream.“ Der Schiffsarzt, der nicht verstehen kann, wie man für „solchen Kram“ Geld ausgeben kann, und ankündigt, seinem 21 Monate alten Sohn „den Arsch voll zu hauen“, wenn er eines Tages solche Musik hören sollte, bemerkt ganz trocken: „Früher hätte man so Leuten erst mal ’ne Valium gespritzt.“

Die Welten zwischen dem DJ, der Zivildienst gemacht und jahrelang als Rettungssanitäter gearbeitet hat, und den Bundeswehrangehörigen könnten größer nicht sein. Doch weil die Seminarteilnehmer nur die Musik, aber nicht den Mann am Plattenteller doof finden, entspinnen sich durchaus bemerkenswerte Dialoge. Das Sweatshirt mit dem Aufdruck „Terror worldwide“, das sich Martin Klien extra angezogen hat, bietet einen guten Ansatzpunkt. „Das ist, was ich mache: Terror worldwide“, erklärt der DJ. „Gehört es zur Motivation, sich auszugrenzen?“, will der Schiffsarzt wissen. „Wird so Energie gesammelt, um sich danach so zu verhalten, wie es sich gehört?“ Der DJ grinst. „Ich bin 32 Jahre und ein Ende ist nicht in Sicht.“ Ausführlich erzählt er von der Ausgrenzung seiner Musik durch die Love Parade und die Behörden. „Obwohl ich Steuerzahler bin, kann ich in diesem Staat meine Partys nicht machen“, klagt er. Der Schiffsarzt kann das gut verstehen. „Das kommt mir alles aggressiv vor, die Musik macht mich aggressiv. Ist das nicht alles aggressiv?“, will er wissen. „Nee, das ist Image“, erklärt ihm der DJ. „Ich gehe auch ins Theater und Ballet und könnte keiner Fliege was zuleide tun.“ Doch der Schiffsarzt insistiert: „Du machst was, was ein Potential an Schandtaten beinhaltet.“ Auch der „Terror“-DJ bleibt hartnäckig: „Ich will nur Partys machen und man lässt mich nicht.“ Plötzlich hat der Bundeswehrarzt ein Rezept für Kliens Problem: „Melde doch eine Demo an, dann kannste 1,5 Millionen Leute einladen!“ Ein Vorschlag, über den alle herzlich lachen.

Das Ergebnis des mehrstündigen Gesprächs: Die Teilnehmer bedanken sich für die interessanten Einblicke; der Schiffsarzt, ein Jahr jünger als der Gabba-DJ, verabschiedet sich mit den Worten „Du musst nicht denken, ich will dich verbessern“ und einige Soldaten fragen nach der Möglichkeit, bei der Fuck-Parade auf einem Wagen mitzufahren. Das wäre dann fast schon ein Heimspiel. Denn unter den 25 Wagen sind einige geländetaugliche Bundeswehrfahrzeuge.

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