: Basar im Bundesrat
Die Steuerreform bietet den Bundesländern die einmalige Chance, sich Vergünstigungen vom Bund zu erfeilschen
von BEATE WILLMS
150.000, 180.000, 500.000 neue Arbeitslose. Der Aufschwung wird an Kraft verlieren. Und Deutschland wird als Standort verbrannt sein, wenn die Bundesländer die Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung auf Dauer blockieren: Vor der morgigen entscheidenden Sitzung des Bundesrats in Bonn werden die Drohkulissen immer düsterer.
Während die Geschütze in der vordersten Reihe immer schwerer werden, geht es an den entscheidenden Flanken sehr viel pragmatischer zu. Zwischen Bundesregierung und Ländern wird gefeilscht wie lange nicht mehr.
69 Stimmen gibt es im Bundesrat. Um die Steuerreform durchzubringen, ist eine Mehrheit von mindestens 35 Stimmen notwendig. Bislang hat Bundesfinanzminister Eichel gerade mal 23 fest auf seiner Seite. Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, allesamt SPD- oder rot-grün regiert, werden für ihn stimmen. Die schwarzen Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen, Thüringen und das Saarland, die zusammen 28 Stimmen haben, haben dagegen ihr Nein angekündigt. Die verbleibenden fünf, Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, wollen sich erst morgen entscheiden.
Dabei stehen alle vor dem gleichen Dilemma: Wenn sie konkret für sich etwas herausholen wollen, dürfen sie die Steuerreform nicht in eine zweite Vermittlungsrunde gehen lassen. Denn dann verhandeln Rot-Grün und Union wieder auf Bundesebene. An Kompensation für die Länder wird dabei wohl weniger gedacht – im Gegenteil: Wenn sich die Union dort mit einem noch niedrigeren Spitzensteuersatz durchsetzen würde, hätten die Länder noch höhere Einnahmeausfälle. Dabei fehlen ihnen schon nach dem Eichel-Konzept künftig mindestens dreistellige Millionensummen. So erwartet etwa Rheinland-Pfalz bei dem rot-grünen Konzept Kosten von 1,87, bei dem der CDU von jährlich 2,22 Milliarden Mark.
Die Vorstellungen der Länder über eine Gegenleistung für ihre Stimmen bewegen sich in ähnlichen Größenordnungen – allerdings einmalig. Für Brandenburg sind angeblich 300 bis 800 Millionen Mark Fördergelder für die Wirtschaftsstruktur im Gespräch. Das könnte auch CDU-Innenminister Jörg Schönbohm mit der Steuerreform versöhnen – SPD-Ministerpräsident Stolpe hat angekündigt, dass er mit Ja stimmen wird, wenn es auf ihn ankommt. Für Mecklenburg-Vorpommern hat PDS-Landeschef Helmut Holter einen dreistelligen Millionenbetrag zur Investitionsförderung als Zielzahl genannt, Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) könnte sich alternativ auch den Ausbau der Eisenbahntrasse Rostock – Berlin vorstellen. Bremen wünscht sich Veränderungen beim Länderfinanzausgleich, Berlin Unterstützung für die Kulturförderung oder Polizei.
Solchen Aussichten hat Unionsfraktionschef Merz kaum etwas entgegenzusetzen. Ihm blieb gestern nur, abzuwarten und vor „ungedeckten Schecks“ zu warnen.
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