: Nix Genaues findet man nicht
Vor einem Jahr startete die Bundesanwaltschaft die Operation „Goldene Hakenkralle“ gegen Atomkraftgegner. Die Betroffenen haben bis heute keine Akteneinsicht ■ Von Kai von Appen
Eigentlich war es nur ein Joke. In Anspielung auf die Hakenkrallen-Anschläge gegen die Bundesbahn wegen der Castor-Transporte machte ein Hamburger Ex-Grüner Politiker in einem Telefonat mit einem Bekannten den Vorschlag, dem befreundeten Atomkraftgegner Fritz Storim doch zum Geburtstag eine „vergoldete Hakenkralle“ zu schenken – in der Garage habe er noch eine ganze Kiste. Das abgehörte Telefonat und den Witz nahm der Staatsschutz als Anlass für eine gleichnamige Operation – die „Goldene Hakenkralle“, einer bundesweiten Razzia gegen Atomkraftgegner. Heute, ein Jahr später, haben die Beschuldigten noch immer keine Akteneinsicht bekommen. Ihnen wird vorgeworfen, an Anschlägen auf die Bundesbahn beteiligt gewesen zu sein. Zum Stand der Ermittlungen will die Sprecherin der Bundesanwaltschaft (BAW), Eva Schübel, auch gegenüber der taz hamburg keine konkreten Angaben machen. Schübel: „Die Ermittlungen dauern an.“
Hellhörig wurden die staatlichen Lauscher damals, weil der Hamburger Fritz Storim seit fast drei Jahrzehnten zu den Gallionsfiguren und Vordenkern der Anti-Atom-Bewegung im Norden gehört. 100 FahnderInnen des Bundeskriminalamtes (BKA) in Begleitung von neun Staatsanwälten und unterstützt von 200 PolizistInnen aus den Ländern schwirrten am 6. Juli 1999 aus und filzten zehn Wohnungen, Büros und andere Einrichtungen in Hamburg, Bremen, Berlin, Lüneburg und Lüchow-Dannenberg.
Die Razzia richtete sich damals gegen elf „Beschuldigte“ und weitere sogenannte „Betroffene“. „Betroffene“ sind Personen, die laut BAW-Definition politische und private Kontakte zu den „Beschuldigten“ unterhalten und deshalb auch verdächtig sind – zum Beispiel, weil sie zusammen wohnen oder arbeiten. Der BAW-Vorwurf: „Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (Paragraf 129a StGB) und „gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr.“ Festgenommen wurde niemand.
Vorangegangen waren der Aktion „Goldene Hakenkralle“ nach BAW-Angaben jahrelange „intensive Ermittlungen der Arbeitsgruppe Energie“ beim BKA. Im Klartext: Observationen, Telefonüberwachung, Postkontrollen. Begründet wurde der Vorwurf der „terroristischen Vereinigung“ unter anderem mit Hakenkrallen-Anschlägen auf Bundesbahnstrecken, die im Oktober 1996 an bundesweit zwölf Orten und im Februar 1997 an acht Punkten im norddeutschen Raum verübt worden waren. In Bekennerschreiben und in einem „Kommunique Autonomer Gruppen“ wurden sie damals begründet: „Ziel der Anschläge war es, die Deutsche Bahn AG unter Druck zu setzen, um die Castor-Transporte auf dem Schienennetz einzustellen.“
Aufgrund der zeitgleichen Aktionen und Bekennerschreiben kam die BAW nach ihrer Staatsschutzlogik zu der Überzeugung, dass eine feststrukturierte Organisation namens „Autonome Gruppen“ existieren müsse und dass diese hinter den Anschlägen stecke. Die BAW glaubte nun nach dem Telefonat, in den „Beschuldigten“ die „Führungskader“ der Organisation gefunden zu haben.
Bei Fritz Storim filzten FahnderInnen nicht nur die Wohnung in Hamburg, wo sie neben der Computerfestplatte, Disketten und Unterlagen auch eine Haarbürste zur DNA-Analyse und für einen „genetischen Fingerabdruck“ beschlagnahmten. Auch der Arbeitsplatz des Physikers beim Umweltinstitut „Meßstelle für Arbeits– und Umweltschutz“ (MAUS) in Bremen war Opfer der Begierde. Bei der MAUS wurden Geschäftsunterlagen in einem Umfang beschlagnahmt, dass ihr Weiterbetrieb nur noch notdürftig möglich war.
Zudem wurde gegen das Insititut ein Verfahren wegen „Subventionsbetrug“ aufgrund angeblich „unzweckmäßig verwendeter Fördergelder“ eingeleitet. Der MAUS sind aufgrund des Verfahrens derzeit sämtliche öffentliche Mittel gestrichen. Alle MitarbeiterInnen mussten entlassen werden und können nunmehr nur noch auf ehrenamtlicher Basis arbeiten. Dass es die MAUS so hart traf, war wohl kein Zufall: Das Insitut gehört seit seiner Gründung 1984 zu den Kritikern der Atomtechnologie und war mehrfach gutachterlich und in wissenschaftlicher Beratung für AtomkraftgegnerInnen tätig.
Die Akteneinsicht, so der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH), wurde den Betroffenen der Razzia verweigert „um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden“: Auch zwölf Monate nach der „Goldenen Hakenkralle“ ist ein riesiger BKA-Apparat damit beschätigt, die „Beschuldigten“ zu observieren und abzuhören und mögliche Spuren und Ergebnisse auszuwerten.
So wurden und werden in akribischer Feinarbeit Gutachten über die Beschaffenheit von Hakenkrallen hergestellt, um auf eine mögliche Herkunft schließen zu können. Die Telefonate und das persönliche Umfeld von „Beschuldigten“ und „Betroffenen“ ist durchleuchtet worden. Gerade auch bei den „Betroffenen“ sind Ermittlungen in einem bislang einzigartigen Ausmaß ohne Rücksicht auf Auswirkungen gegenüber Verwandten, FreundInnen, Behörden und Arbeitgeber getätigt worden.
Bei allen MitarbeiterInnen der MAUS wurden die Telefone angezapft, Gespräche abgehört und ausgewertet. Telefonate von „Beschuldigten“ und „Betroffenen“ werden analysiert, um Kontakt- und Kommunikationswege auszuforschen, da sich die „Beschuldidgten“ „bei ihrem regen Kontakt“ laut Ermittlungsrichter, „äußerst konspirativ verhalten“.
Dabei setzen die Ermittler modernste Technik wie Richtmikrofone ein, sie vergleichen Observationsauswertungen mit aufgezeichneten Daten- und Telefonverbindungen, um so beispielsweise feststellen zu können, wer zu welchem Zeitpunkt in einer Wohnung einen Computer benutzt hat. Alles offenbar vergebens: „Konkrete Hinweise auf eine Tatbeteiligung liegen nicht vor“, geben die Ermittler zu.
Storims Anwälte Andreas Beuth und Ursula Ehrhardt fordern daher: „Bei der Bilanz kann das Verfahren nur eingestellt werden.“ Dem widerspricht die BAW-Sprecherin. „Man hat ja was gefunden,“ verteidigt Schübel das Vorgehen, „es hat nur noch nicht zu etwas Konkreten geführt.“
Für Beuth und Ehrhardt ist die „Operation Goldene Hakenkralle“ ein erneuter Beweis, dass die Staatsschutzorgane für ihre Ermittlungen bei politisch motivierten Straftaten sich immer noch gern des Ausforschungsparagraphen 129a als Allzweckwaffe bedienen, nach dem Motto: „Vielleicht kommt doch ja irgendwas heraus“, so Ehrhardt.
Und schließlich ist der ganze Aufwand offensichtlich auch nicht ganz ohne Uneigennutz des Bundeskriminalamtes, meinen zumindest die Beschuldigten. Denn nach der Auflösung der „Roten Armee-Fraktion“ (RAF) oder der „Revolutionären Zellen“ müsse der Staatsschutzapparat mit seinem riesigen Potential an verbeamteten Geheimdienstlern, mit Struktur und Technik seine eigene Existenzberechtigung immer wieder unter Beweis stellen. Daher gehen die Beschuldigten davon aus, dass die „Allzweckwaffe 129a“ auch weiterhin – und verstärkt unter rot-grüner Ägide – gegen die Anti-Atom-Bewegung angewendet wird, um den Widerstand gegen das Atomprogramm „kalt zu stellen.“ Motto: „Wer nicht für den Konsens ist, ist gegen den Ausstieg.“
Auch wenn den Hakenkrallen-Ermittlern der große Coup nicht gelungen ist, wollte die BAW tatsächlich zumindest Fritz Storim in einem sogenannten „Abfallprodukt“ vor den Kadi zerren. Bei ihren umfangreichen Schnüffeleien und Ermittlungen wollen FahnderInnen erspäht haben, dass Storim womöglich „Fluchthilfe“ im Zusammenhang mit dem Verfahren um die Zeitschrift Radikal geleistet haben könnte. Vorwurf daher: „Mitgliedschaft in einer Kriminelllen Vereinigung“ (§ 129 StGB). Nach der Rekonstruktion gelöschter Disketten in ihre „Ursprungsform“ wollen die BKA-FahnderInnen herausgefunden haben, dass Storim „eine bislang Unbekannte“ vor dem Zugriff bewahrt habe, die der Mitarbeit bei der verboteten linksradikalen Zeitschrift verdächtigt wird.
Dieser Komplex wurde im Dezember vorigen Jahes abgetrennt und das Verfahren der Hamburger Staatsanwaltschaft zur Weiterbearbeitung zwecks Anklage übergeben. Doch daraus ist nichts geworden. Staatsanwaltschaftsprecher Rüdiger Bagger zur taz hamburg: „Das Verfahren ist eingestellt worden.“
1989 saß Storim wegen des gleichen Deliktes schon einmal auf der Anklagebank. Damals hatte ihm die Staatsschutzjustiz vorgeworfen, an der Erstellung der Infosammlung Sabot beteiligt gewesen zu sein, in der auch eine Hungerstreikerklärung der RAF angedruckt gewesen war. In einem spektakulären Indizienprozess wurde er vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu einem Jahr Knast ohne Bewährung verurteilt: Sieben Monate saß er damals in Fuhlsbüttel.
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