: Hinter den Bergen bei den acht Nonnen
Ihre Armut ist frei gewählt, ihr Glauben fest und Dalhautì – abgeschieden von den Annehmlichkeiten der Zivilisation – ist ihr Schicksal. Eine Reise zu Nonnen in Rumänien, wo Kranke geheilt werden und die Äbtissin Rat weiß. Kniestand und Katzenbuckel helfen, die wunden Knie zu entlasten
von PETRA WELZEL
Wenn ich das irdische Leben einmal satt haben sollte, werde ich Nonne. Möglicherweise im Kloster Dalhautì in den südlichen Ausläufern der Karpaten. Ich sei „von Gott gezeichnet“, hat jedenfalls der Hellseher von Galatì behauptet. Das war, als wir nach acht Tagen aus dem Kloster in den waldreichen Bergen wieder ins flache Land zurückkehrten. Ich hatte von Schwester Gabriela ein Kreuz und ein goldenes Marienbild geschenkt bekommen. Das eine blendete mit einer Perle auf meiner Brust, das andere leuchtete verborgen in meiner Tasche, als ich auf einem quietschorangenfarbenen Bett dem hellsehenden pensionierten Priester mit dem Mund voller Goldzähnen gegenübersaß.
Aber ich will von vorne beginnen: Es sind 33 Grad, als wir in Bukarest das Flugzeug verlassen. Der erste heiße Sommertag im Land, und draußen riecht es nach Waldmeister. Nello, unser Fahrer, erwartet uns schon, um uns 200 Kilometer landeinwärts nach Focsani zu bringen. Quer durch ein Rumänien, das aussieht wie die italienische Poebene: ,Getreide-, Sonnenblumen-, Melonenfelder und knackige Weinreben. Elisabeta, mit der ich reise, hat hier noch Familie und Freunde. Ihre Mutter hat heute Geburtstag, übermorgen wollen wir mit ihr ins Kloster gehen. Ein Geschenk Gottes sozusagen.
Das Klosterleben hat in Rumänien eine lange Tradition, in Dalhautì eine von 435 Jahren. Ganz oben im Norden Rumäniens gibt es vermutlich mehr Klöster als Dörfer und Städte. So genau lässt sich das nicht bestimmen, denn unter dem diktatorischen Regime Ceaușescus wurden unzählige Klöster geschlossen und einem jahrzehntelangen Verfall anheim gegeben. Seit der politischen Wende 1989 und dem Ende Ceaușescus zogen Nonnen und Mönche zurück in die Ruinen und belebten sie wieder. Manche liegen fernab der Zivilisation, ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne Gas. Für Besucher gibt es nur eine Faustregel: Entweder ist der Zutritt verboten, oder die Tore stehen offen für jeden Gast, ob Mann oder Frau.
Anderntags kaufen wir auf dem üppigen Markt von Focsani für die Nonnen von Dalhautì ein. 3 Kilo Kartoffeln, 3 Kilo Gurken, 3 Kilo Tomaten, einen 5-Liter-Kanister Olivenöl, 2 Kilo Reis, 2 Kilo Nudeln, 1 Kilo schwarze Oliven und 1 Kilo Zucker. Die Inflation in Rumänien sorgt fast täglich für Schlagzeilen. Da sind Naturalien mehr Wert als 1 Million Lei, etwa 100 Mark. Zumal, wenn man, zwar nur 25 Kilometer entfernt von allem, abgeschieden in den Wäldern in selbst gewählter Armut lebt.
Nellos rumänischer Volkswagen scheint mit unserem Gepäck zu schwimmen wie ein Kahn auf hoher See. Eine Freundin Elisabetas hat sich uns noch angeschlossen und kurzfristig eine Woche Urlaub genommen. 150 Meter vor dem Ziel ist dann nichts mehr zu machen. Das Auto verliert jegliche Bodenhaftung und schmiert wie in einem Strudel in eines der vielen Schlammlöcher im weichen Waldboden ab. Hilfe kommt von oben: Schwester Juvenalia und Schwester Filoftea kommen uns entgegen, um das Gepäck ins Kloster hinaufzubringen. Ein Anwesen mit steilen Hängen und Beeten und einem wehrhaften Holzglockenturm im Zentrum. Die 73-jährige Äbtissin Emilia erwartet uns schon. Sie nimmt Elisabetas Mutter ihre Geburtstagsblumen ab, einen Strauß mit blauen Rosen lässt sie gleich in die Basilika bringen und neben die Marien-Ikone des Klosters stellen. Dann serviert uns die kleine, magere und schlohweiße Frau mit der riesigen Hornbrille heiliges Quellwasser und mit Schale in Rosenzuckerwasser eingekochte Walnüsse.
Zwischendurch schimpft sie wie ein Rohrspatz mit Schwester Vinzencia, dass sie nicht genügend auf die Hühnerküken achten würde. Um uns anschließend ihren ganzen Stolz vorzuführen: Renzo. Den siamkatzenähnlichen Kater mit den unwiderstehlichen blauen Paul-Newman-Augen hat sie im letzten Jahr zum Geburtstag geschenkt bekommen. Sein Nachwuchs ist seitdem auf 20 Kätzchen angewachsen. Unter den Nonnen hingegen hat eher eine Minimierung stattgefunden. Vier von zwölf Nonnen haben in den vergangenen zwei Jahren Dalhautì verlassen. Warum? Filoftea sagt: „Es gibt viele Gründe.“ Einmal heißt es, weil es hier kein Strom und fließend warmes Wasser gebe.
Für die kommenden Tage werden wir im größten von drei Gästehäusern untergebracht. Wasser zum Waschen holen wir uns in einem Plastikeimer. Zum Plumpsklo oberhalb des Kuhstalls steigen wir mehrmals am Tag hinauf, in den dunklen Nächten schlagen wir uns in die Büsche. Nur in unserem Zimmer brennt die ganze Nacht durch das „ewige Licht“ und umspielt mit seiner Flamme ein liebliches Jesusantlitz. Das Gesicht des Mannes, mit dem alle Nonnen vermählt werden, wenn sie ihr Gelübde ablegen. So wie Juvenalia, Filoftea, Gabriela und Epraxia. Morgen werden sie einen anderen Mann feiern: Johannes den Täufer.
Juvenalia ist seit ihrem 16. Lebensjahr Nonne, mit Einwilligung ihrer Eltern. „Die haben zuerst einen Schock bekommen“, erzählt sie im Dämmerlicht der meterhohen Buchen des Klosterwalds, der nur so wenig Licht und Regen durchlässt, dass der Waldboden noch im Sommer nach Herbst riecht und auch so aussieht. „Alle meine Freunde haben mich gewarnt, dass schaffst du niemals mit deinem Temperament, aber schau, ich bin immer noch hier“, sagt sie. Und von dem Temperament eines Wirbelwinds hat sie in 12 Jahren nichtsverloren. Es gibt Tage, da sieht man sie nur von einem Gebäude des Klosters zum anderen eilen, in ihrem langen schwarzen Rock, dunkelblauer Bluse, schwarzem Wollpullunder darüber.
Das sind die Festtage, an denen die Basilika vor lauter Besuchern zu bersten scheint. Wenn wie jeden Tag nach den Rezepten der Äbtissin gekocht wird und bis zu 200 Messebesucher aus der Umgebung mit einem Mittagessen versorgt werden. Wenn sich schon abends zuvor von weither angereiste Gläubige einfinden und die Gästezimmer hergerichtet werden müssen. Immer mehr Leute kommen auch her, um einfach ein paar Tage zu entspannen.
Der Tag Johannes des Täufers beginnt wie jeder Tag um 6 Uhr. Epraxia, die als einzige Nonne außerhalb des Hauptgebäudes ihre Kammer in unserem Gästehaus hat, hat sich ihren schwarzen Arbeitsrock und eine helle, geblümte Strickjacke angezogen, um den Kuhstall ausmisten zu gehen. Juvenalia hilft ihr beim Melken und bringt es mir bei. Noch bevor wir die zwei Kühe und das Kalb auf die Wiese am Hang der alten Kirchenruine treiben, filtern wir die frische, noch warme Milch durch ein Netz. Die Nonnen müssen heute Vormittag fasten, aber mir drückt Epraxia eine ganze Kanne voll Rohmilch in die Hand.
Um 9 Uhr müssen sie gewaschen und umgezogen in der Kirche sein. Der Priester, der das Kloster betreut, ist aus dem Dorf heraufgekommen, eine Nonne hat im Glockenturm erst mit zwei Hämmern auf ein Holzbrett eingeschlagen, schließlich geläutet, dann beginnt die Messe. Als die Nonnen sich wiederholt bekreuzigen und auf die Knie fallen und mit der Stirn den Boden berühren, rauschen ihre langen Röcke wie der Wind in einem Segel. Ihr Gesang hebt einen in die Sphären der Engel, wenn es die gibt. Ich vergesse, dass mich die Knie schon eine Weile schmerzen. Kniestand und Katzenbuckel helfen, um sie zu entlasten. Das habe ich mir bei den anderen abgeguckt. Von den Schwestern hatte ich schon zur gestrigen Abendmesse einen langen Rock bekommen. Und ihn unter ihrem Gelächter vor der Kirche über meine kurze Hose gezogen. Man kniet zwar in der rumänisch-orthodoxen Kirche, aber man zeigt die Knie nicht.
Vier Stunden bis zum Mittag halten Elisabeta, ihre Mutter, die Freundin und ich dann aber doch nicht in der Messe aus. Vor allem wollen immer mehr Besucher in die Kirche hinein. Also gehen wir uns die Beine vertreten. Ein Arzt und sein Sohn tun das auch. Er bestätigt uns, was Filoftea schon erzählte, dass nämlich die Marien-Ikone von Dalhautì nicht nur Regen bringe, wenn er benötigt wird, sondern auch Lahme wieder gehend macht und andere Krankheiten zu heilen vermag.
Der Arzt erzählt uns die Geschichte einer Frau, die nach einer schweren Erkrankung gelähmt im Bett zurückblieb und von allen Ärzten ratlos aufgegeben worden war. Sie hätte von der Ikone gehört und allein ihr Wille, sie aufzusuchen und zu berühren, hätte sie wieder auf die Beine gebracht. Darüber hinaus kämen aber auch viele nach Dalhautì, um bei der Äbtissin Rat und Hilfe zu suchen. Heute früh habe er mitbekommen, dass eine Frau die Äbtissin gefragt habe, was sie gegen ihre körperliche Begierde tun könne, nachdem ihr Mann nun schon seit Monaten beruflich im Ausland sei. Emilia hat ihr geantwortet: „Arbeit, Arbeit, Arbeit!“
Daran mangelt es im Kloster nie. In den nächsten drei Tagen wird zudem gefastet. Das heißt, es wird absolut vegetarisch gegessen. Es gibt hauptsächlich Gemüsesuppen mit Bohnen und ohne Bohnen und viel selbst gebackenes Weißbrot. In sich versunken ist Epraxia von morgens bis abends im Garten zugange, Gabriela zieht neue Bienenwachskerzen, Juvenalia repariert mit dem Priester Bänke und Türschlösser, die Holzbasilika wird von den übrigen Nonnen für den Bußtag in drei Tagen geputzt, die Teppiche ausgeklopft, die Kandelaber gewienert. Emilia nutzt die Gelegenheit, mit einem Besucher nach Focsani zu fahren, um Besorgungen zu machen. Wir ernten Lindenblüten.
Gabriela erzählt uns: Als sie in Rumäniens größtes Kloster Varatec mit 600 Nonnen ging, lernte sie dort mit 19 vor 12 Jahren Juvenalia kennen. Seither sind die beiden unzertrennlich, teilen sich bis heute ihr Zimmer und Bett. Ganz nebenbei hat Gabriela in der Zwischenzeit aus einer Nadel, einer Perle und ein paar schwarzen Fäden ein Kreuz gebastelt und hängt es mir um den Hals.
Einige Tage später sitze ich mit besagtem Marienbild, das sie mir zum Abschied geschenkt hat, in meiner Tasche vor dem Hellseher und mag ihm kein Wort glauben. Und ich denke an Filoftea, der ich erzählte, dass ich schon lange aus der Kirche ausgetreten bin. Sie hat mir nur mit einem Augenzwinkern entgegnet: „Wer einmal nach Dalhautì kommt, der kommt auch ein zweites Mal!“
Hinweis:Im Norden Rumäniens gibt es mehr Klöster als Dörfer und Städte
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