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„Es gab keine pädagogischen Grundlagen“

Franz Josef Krafeld, Begründer der „akzeptierenden Jugendarbeit“, über Idee und Praxis des Programms: Oft wird konzeptionslos gearbeitet

taz: Die Bundesregierung will eine „Initiative Arbeit und Qualifizierung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ starten. Sie soll das „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ (AgAG) ersetzen. Wäre es nicht sinnvoll, wieder auf das Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit“ zurückzugreifen, als dessen Vater Sie gelten?

Franz Josef Krafeld: Es würde sehr viel Sinn machen, aber ich rechne nicht damit. Den Begriff „akzeptierende Jugendarbeit“ würde ich auch nicht in den Mittelpunkt stellen. Als die „akzeptierende Jugendarbeit“ vor zehn Jahren in Westdeutschland eingeführt wurde, waren rechte Jugendliche noch gesellschaftlich ausgegrenzt. Da war die Betonung der „Akzeptanz“ sinnvoll, solange er nicht falsch verstanden wurde als „Sich nicht einmischen“ oder „gleich gesinnt sein“. Die heutige Situation verlangt nach anderen Mitteln: An vielen Orten sind nicht mehr rechte Cliquen in der Situation, ausgegrenzt zu sein, sondern andere Jugendliche. Diese gilt es zu stärken.

Die pädagogische Hauptidee, die für eine Neuauflage eines Programms zur Verfügung stünde, ist aber nach wie vor die der „akzeptierenden Jugendarbeit“?

Bislang ist sie das einzige pädagogisch ausdifferenzierte Konzept. An etlichen Orten wurde und wird aber dennoch relativ konzeptionslos gearbeitet. Das war auch die große Schwäche des AgAG-Programms: Es gab keine pädagogischen Grundlagen, und man hat sich auch nicht darum bemüht, solche weiter zu entwickeln. Zwar hat sich der Begriff der „akzeptierenden Jugendarbeit“ diffus in den Köpfen festgesetzt, aber nicht einmal in Minimalform die Sozialarbeiter vor Ort erreicht. So kam es dann auch zum ersten und größten Eklat, als im September 1992 gemeldet wurde, in ostdeutschen Jugendprojekten seien Neonazis als Streetworker eingestellt worden. Der AgAG-Verantwortliche sagte in die Kameras der „Tagesthemen“: Das sei nur konsequent, so käme man leichter an die Jugendlichen heran. Man griff hilflos auf unseren Begriff der „Akzeptanz“ zurück, weil kein anderer vorhanden war. Unser Protest hatte zur Konsequenz, dass wir in der Folge vollkommen aus dem AgAG-Programm rausgehalten wurden.

Das Hauptproblem des AgAG war Konzeptionslosigkeit?

Anfangs wurden die ganzen Energien darauf verwendet, im Osten neue Jugendhilfestrukturen aufzubauen. Zwar wurde so immerhin wieder irgendeine Art von Jugendarbeit aufgebaut, an Stellen, wo nach der Wende nichts mehr vorhanden war. Im Lauf der Zeit ist das AgAG-Programm aber immer mehr verkommen zu einem allgemeinen „Wiederaufbauprogramm“ für Jugendhilfestrukturen in den neuen Ländern. Und das auf niedrigem Niveau. Es bringt nichts, schnell und billig Jugendsozialarbeit aus dem Boden zu stampfen, in denen schlecht ausgebildete Streetworker, oft auf ABM-Basis, beschäftigt werden – und das noch dazu in einem der schwierigsten Bereiche der Sozialarbeit. Zu allem Überfluss wurden diese Mitarbeiter dann auch noch allein gelassen: keine Supervision, keine Weiterbildung, keine alltagsnahe Praxisberatung. Es überrascht nicht, dass viele damit nicht klar kamen. Womit man sich leider auch überhaupt nicht beschäftigt hat: Der Nährboden für rechtes Gedankengut liegt in der Erwachsenenwelt. Das alles ist aber keine Schwäche der „akzeptierenden Jugendarbeit“, sondern eine Schwäche der Organisation des AgAG-Programms.

War es auch nur eine Schwäche der Organisation, dass die „akzeptierende Jugendarbeit“ den Rechten buchstäblich ein Dach geboten hat – etwa in Jugendclubs, die nur für Rechte zugänglich waren?

Sobald die Einrichtungen von rechtsextremistischen Gruppen instrumentalisiert werden, muss Schluss sein, das ist eigentlich klar. In einigen Fällen muss tatsächlich über eine Schließung der Einrichtungen nachgedacht werden – ich glaube, das stünde in einer ganzen Reihe von Orten in Ostdeutschland an.

Was ist an diesen Orten schief gegangen?

Vor allem muss die pädagogische immer auch mit einer politischen Sichtweise verknüpft werden. Hier in Bremen, wo wir anfingen, mit dem Konzept zu arbeiten, treten die Mitarbeiter immer offensiv als „Linke“ auf. Die Idee ist, dass zwei Menschen, die eine andere Meinung haben, aufeinandertreffen und sich auseinandersetzen. Gleichgesinnte dagegen müssen nicht lernen, sich zu akzeptieren. Im Osten bezeichnen viele Mitarbeiter sich selbst und ihre Arbeit als „unpolitisch“. Bei der Auswahl der Mitarbeiter muss nicht geprüft werden, ob sie eine politische Meinung haben, sondern ob sie fähig sind, diese auch gegenüber den Jugendlichen zu leben. Wenn das nicht der Fall ist, bekommen die Mitarbeiter früher oder später auch Schwierigkeiten, sich gegen die Jugendlichen abzugrenzen. Der Schritt zur Kumpanei kann dann leicht ein kurzer sein. INTERVIEW: CHRISTOPH DOWE

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