: Alltag und Widerstand
■ Eine Veranstaltung in der Roten Flora zur Politik der Revolutionären Zellen mit Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski
Es gehört zur Geschichte der radikalen Linken, dass ihre Niederlagen die staatlichen Organe nicht davon abhalten, diejenigen, die zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Bedingungen militante Politik gemacht haben, weiter zu verfolgen. Fast scheint es, als sei die Niederlage geradezu die Vo-raussetzung dafür.
Als im Dezember 1999 die Verhaftungen angeblicher ehemaliger AktivistInnen der Revolutionären Zellen und der Roten Zora begannen, hatten viele der Zellen ihren Kampf seit bereits sieben Jahren in der bisherigen Form aufgegeben. Eine Veranstaltung in der Roten Flora will sich heute Abend an die Anfänge der RZ-Geschichte zurückbegeben, ihre Konzeptionen diskutieren und auch die öffentlichen Auseinandersetzungen, die Anfang der 90er zur Einstellung der Aktionen führten, aus heutiger Sicht beleuchten.
Als Anfang der 70er Jahre einige von der Wirkungslosigkeit der bisherigen politischen Praxen Überzeugte den bewaffneten Kampf aufnahmen, um so einen radikalen Bruch mit der bundesdeutschen Gesellschaft zu markieren, konnten sie noch auf das Verständnis eines großen Teils der Bevölkerung rechnen. Sehr bald jedoch fiel denen, die sich der Roten Armee Fraktion zurechneten, die zunehmende Entfernung von den sozialen und kulturrevolutionären Bewegungen der Zeit auf die Füße. Der Druck der staatlichen Verfolgung und oft der vorauseilende Gehorsam ehemaliger Genossen aus der Bewegung der 68er taten ein Übriges, sie in eine immer größer werdende Dis-tanz zu einem am Alltag orientierten Widerstand zu bringen. Und spätestens mit der Ermordung Hanns-Martin Schleyers 1977 traf die RAF auf ein weitgehendes Unverständnis zuvor noch sympathisierender Kreise der Linken.
Und mag sich auch die Bewegung 2. Juni im Vergleich zur RAF noch um eine gewisse Popularität bemüht haben (Schokoküsse für die Bankkunden bei einem Überfall), die staatliche Repression und die Unerbittlichkeit, mit der seine Mitglieder aus der Klandestinität heraus gegen „Abweichler“ vorgingen, führte auch sie schnell in die Isolation.
Beinahe zeitgleich versuchten die Revolutionären Zellen und wenig später die Gruppen der Roten Zora, militante Politik mit jeweils aktuellen sozialen Bewegungen in Einklang zu bringen. Weit eher als RAF und 2. Juni gelang es den in kleinen klandestinen Zellen Organisierten, Fische im Wasser der legalen politischen Bewegung zu sein. Vor allem die antirassistischen Aktionen der 80er Jahre, wie der Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber im Februar 1987, brachten den RZ weit über die autonome Linke hinaus eine gewisse Sympathie ein.
Wer nicht für seine Betätigung bei den RZ verurteilt wurde, kann selbstverständlich nicht öffentlich auftreten. Diskutieren werden daher heute Abend Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski, die in der Bewegung 2. Juni und in der RAF aktiv waren. Ein kurzer Videomitschnitt eines Interviews mit dem ehemaligen RZler Enno Schwall wird die notwendige Außenperspektive der Diskutanten ergänzen.
Christiane Müller-Lobeck
heute, 20 Uhr, Rote Flora
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