piwik no script img

Apartheid in der Medikamentenversorgung

Infektionskrankheiten breiten sich in armen Ländern wieder dramatisch aus. Die benötigten Arzneien sind für die Betroffenen meist unerschwinglich

Die Zahlen sind alarmierend: Jährlich sterben rund 17 Millionen Menschen an behandelbaren Infektionskrankheiten. Längst im Griff geglaubte Seuchen wie Tuberkulose oder die Schlafkrankheit breiten sich vor allem in der südlichen Hemisphäre wieder aus. Laut des jüngsten WHO-Gesundheitsberichts fordert die Tuberkulose mit rund 3 Millionen Toten die meisten Opfer; 95 Prozent der Infizierten leben in Asien und Afrika. Die Zahl der Aidstoten in Afrika lag 1998 mit 2,5 Millionen erstmals über der Zahl der weltweit zwei Millionen Malariaopfer.

Die „Ärzte ohne Grenzen“ (ÄoG) haben daher mit dem Geld, das sie im vergangenen Jahr mit den Friedensnobelpreis erhalten haben, die Kampagne „Besserer Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten“ gestartet. „Die Preisgestaltung aller Medikamente muss den finanziellen Möglichkeiten der Bedürftigen angepasst werden“, beschreibt Gundula Epp-Graack, Vorstandsvorsitzende der ÄoG Deutschland, das Ziel der Kampagne.

Die Ursachen für die katastrophale Entwicklung sind hinlänglich bekannt: Viele Medikamente sind aufgrund geltender Patentrechte so teuer, dass sie für die Menschen der armen Länder schlicht unbezahlbar sind. Besonders unselig erwies sich hierbei das 1994 von den WTO-Mitgliedern verabschiedete Trips-Abkommen („Trade Related Intellectual Property Rights“). Eigentlich sollte mit den Patentbestimmungen vor allem der illegale Handel mit Markenartikeln wie CDs und Kleidung unterbunden werden, doch auch Arzneimittel werden für 20 Jahre unter Patentschutz gestellt. Dadurch können die Pharmaunternehmen die Preise frei festlegen. Das Trips-Abkommen enthält für den Fall eines „medizinischen Notstandes“ zwar Ausnahmeregelungen wie „Parallelimporte“ und „Zwangslizenzen“, aber auf die Dritte-Welt-Länder wird politischer wie wirtschaftlicher Druck ausgeübt, diese Bestimmungen nicht in eine nationale Gesetzgebung umzusetzen.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Krankheitserreger gegenüber den herkömmlichen Medikamenten resistent geworden sind. Doch in die Erforschung und Entwicklung neuer Arzneien gegen Tropenkrankheiten wird kaum Geld investiert, weil sich mit ihnen kein Geschäft machen lässt. Nach einer Untersuchung der ÄoG waren von den 1.223 Arzneien, die zwischen 1975 und 1997 auf den Markt gebracht wurden, nur 13 auf Tropenkrankheiten ausgerichtet, fünf davon kamen zudem aus der Veterinärmedizin.

Zum Aidskongress in Südafrika im Juli legten die ÄoG nun einen Bericht vor, der die ganze Absurdität der Situation zeigt: Die Preise für die zehn wichtigsten Aidsmedikamente variieren weltweit stark – der niedrigste lag um 82 Prozent unter dem Preis in den USA. Diese Spanne ergibt sich nicht etwa durch Preisnachlässe von Pharmamultis, sondern dadurch, dass Länder wie Thailand oder Brasilien inzwischen erheblich billigere Nachahmepräparate herstellen. Die ÄoG planen gemeinsam mit der WHO, eine öffentlich zugängliche Datenbank aufzubauen, die die Preise der wichtigsten Medikamente vergleicht.

Statt den Patentschutz aufzugeben, setzt die Pharmaindustrie indes weiter auf Spendenaktionen: Im Mai hatten fünf der größten Pharmakonzerne angekündigt, Aidsmedikamente an bestimmte Entwicklungsländer erheblich preiswerter zu verkaufen. Die hochtrabende Ankündigung ist allerdings bisher eine leere Versprechung geblieben.

Die ÄoG wollen deshalb nicht nur „Druck auf die Pharmaindustrie ausüben“, so Kattrin Lempp von ÄoG, sondern auch weiterhin öffentlich auf die Misere hinweisen, da bis heute „große Unwissenheit“ über das Thema herrsche. OLE SCHULZ

Infos: www.acessmed-msf.org. Am 16.11. veranstaltet ÄoG in Berlin ein Symposium zum Thema, Interessenten melden sich unter (0 30) 22 33 77 00

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen