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Nur eine Ohrfeige

Britischer BSE-Bericht kritisiert ehemalige Minister. Sie hätten den Rinderwahn zu lange verharmlost, jedoch nicht bewusst gelogen

BERLIN taz ■ Die früheren britischen Regierungen unter Margaret Thatcher und John Major sind durch ihre Beschwichtigungspolitik mitschuldig an dem Rinderwahn-Desaster. Sie hätten jahrelang die Gefahr, dass der Rinderwahnsinn BSE auch auf Menschen übertragen werden könne, völlig unterschätzt. Zu diesem Ergebnis kommt ein von Tony Blair in Auftrag gegebener und gestern in London vorgestellter Untersuchungsbericht.

Die vor drei Jahren eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Lord Phillips sollte der Frage nachgehen, ob Regierungsstellen und Behörden auf die schon früh von Wissenschaftlern geäußerten Warnungen falsch reagiert hätten. Fast 1.000 Zeugen wurden angehört, umgerechnet rund 92 Millionen Mark ließ die Blair-Regierung sich diesen Bericht kosten.

Wer erwartet hat, dass die früheren verantwortlichen Minister an den Pranger gestellt würden, wurde enttäuscht. Die früheren Landwirtschafts- und Gesundheitsminister sind in dem Bericht besser als erwartet weggekommen. Eine bewusste Lüge sei ihnen nicht nachzuweisen, heißt es. Auch könne ihnen nicht unterstellt werden, dass es ihnen nur um den Schutz der landwirtschaftlichen Interessen gegangen sei – auf Kosten der Konsumenten. Auf „Überarbeitung“ sei das Versagen der Regierungsstellen zurückzuführen, heißt es.

Rund 80 Menschen sind mittlerweile an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, der menschlichen Form von BSE, gestorben. Weitere sieben sind erkrankt. Unvergessen, besonders für die Angehörigen, sind die Bilder von 1996, die den damaligen Landwirtschaftsminister John Gummer zusammen mit seiner vierjährigen Tochter zeigten, wie sie demonstrativ einen Beefburger verzehrten. Obwohl Gummer wusste, dass BSE auch andere Tierarten infizieren kann, wiederholte er immer wieder: „Britisches Rindfleisch ist sicher.“ Davon ist Gummer nach wie vor überzeugt. Von der Kommission befragt, antwortete er, dass er nichts bedaure. Es esse jetzt sogar noch mehr Rindfleisch als früher. Es sei doch so schön billig.

Die Konservative Partei hingegen entschuldigte sich gestern im Parlament für die Versäumnisse und Fehlentscheidungen ihrer Minister. Und der amtierende Landwirtschaftsminister verkündete, dass er die Absicht habe, einen Millionen Pfund schweren Treuhandfonds zur Entschädigung für die betroffenen Familien einzurichten.

WOLFGANG LÖHR

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