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Ein bisschen Hoffnung

Jahrelang hat sich die Union immer tiefer in ihre Spendenaffäre verstrickt. Die Journalisten Leyendecker, Stiller und Prantl entwirren das Skandalknäuel und fragen nach Perspektiven

von WARNFRIED DETTLING

Eigentlich besteht das Buch aus drei Büchern von drei Autoren. Hans Leyendecker schildert die Hintergründe und das Labyrinth der Parteispendenskandale von den Anfängen bis zur Gegenwart. Der Leser kann vor allem die Arbeiten eines Archäologen im System Kohl besichtigen, der die Tiefenschichten der gegenwärtigen Verwerfungen der CDU freigelegt hat.

Michael Stiller versucht Ähnliches für die CSU und das Amigo-System des Franz Josef Strauß, mit einem bemerkenswerten Unterschied allerdings, der dem Leser, Wähler und Zeitgenossen schon lange auffällt: Stiller und andere vermögen nicht deutlich zu machen, warum in dem einen Falle die CDU in ihren Grundfesten erschüttert ist und als Folge des Geschehenen sich sogar die Statik des deutschen Parteiensystems ändern könnte, während im anderen Falle die CSU seit bald vierzig Jahren eine absolute Mehrheit nach der anderen einfährt.

Stiller und Leyendecker haben noch einmal zusammengestellt, was war oder vermutet wird. Heribert Prantl dagegen hat einen politischen Text geschrieben: das Buch im Buche, das die Lektüre lohnt. Er zieht eine Bilanz der Affäre mit Blick in die Zukunft, und er mustert die „Kollateralschäden“, die sie angerichtet hat. Seine politische Prosa ist glänzend geschrieben, ja zupackend und durchaus der Zukunft zugewandt.

Die Bilanz der Affäre: Ohne Kohl, meint Prantl, hätte die CDU vielleicht nicht so lange regiert. Und ohne Kohl und die Folgen der Spendenaffäre hätte die Union mehrere Parteitage gebraucht, um sich nach der Wahlschlappe 1998 zu erneuern. Das mag so sein, aber wohl nur, wenn man Prantl folgt und Kohls Erben Wolfgang Schäuble von vornherein für zum Scheitern verurteilt erklärt. Dafür aber gab es, vor dem Ausbruch des Spendenskandals vor einem Jahr, keine guten Gründe. Der Nachfolger Kohls hatte politische Erfahrung, analytisch-konzeptionelle Kraft und ganz und gar überraschende Erfolge bei Landtagswahlen. Die vis conservandi haben die alten Römer an Staatsmännern gerühmt. Die vis destruendi, die Kraft der Zerstörung, die Helmut Kohl an den Tag legen würde, konnte in diesem Ausmaße niemand voraussagen. Inzwischen kann man sie nachlesen in Schäubles Buch „Mitten im Leben“. Jetzt, da alles offen zu Tage liegt, kann man sich mit Prantl durchaus fragen, was es da noch zu erneuern gebe in der CDU.

Die Kollateralschäden: Prantl macht auf einen elementaren Sachverhalt aufmerksam. Es läuft die Zeit bald aus, in der die CDU alles auf die Vergangenheit packen, auf Kohl und seine Affäre projizieren kann. Die Taten bleiben, aber der Sündenbock hat seine Schuldigkeit getan, und die Fragen werden lauter: Wo sind sie geblieben, die nach ihm kamen? Jene zum Beispiel, die als „junge Wilde“ eine Zeit lang eine spukhafte Existenz in manchen Fantasien und in langen Interwiews, führten? Es ist noch zu früh für eine Antwort, aber Prantl bringt die bisherige Verlegenheit, die viele mit ihnen hatten, zutreffend auf den Punkt. Der junge Kohl, so erinnert er sich, „war einer, der sich etwas traute. Was trauen sich die Enkel Kohls?“ Es gibt immer gute Gründe zu schweigen, aber die gab es auch, und das war der Kern des Problems, in der Zeit Kohls.

Heut zu Tage bereitet sich der eine auf einen weiteren Landtagswahlkampf aus der Opposition heraus vor. Der andere sammelt alle Kräfte des Herkules für seine Abwehrschlacht und versteht es doch, als Alternative zu Angela Merkel im Gespräch zu bleiben. Der Dritte wartet weiter, bis er eines Tages Ministerpräsident wird. Noch ein anderer regiert ein kleines Land, ordentlich, aber noch unauffällig. So hat jeder seine Gründe, die dafür sprechen, im Zweifel lieber zu schweigen, und die CDU hat keinen, so analysiert Prantl, der mal etwas wagt, der einen Gedanken riskiert, die Debatte belebt.

Dabei sei die Lage gegenwärtig durchaus günstig, in dieser Gesellschaft im Übergang, in der viele Routinen nicht mehr tragen und die Bürger wissen (auch wenn sie sich davor ängstigen), dass mit einem „Weiter so“ keine Politik und kein Staat mehr zu machen sind. Wenn sie die Munterkeit und die Frechheit des jungen Kohl geerbt hätten, meint Prantl zu Recht, dann könnten sie konkret und grundsätzlich zu Felde ziehen und eine konservative Agenda für das 21. Jahrhundert formulieren.

Der Blick nach vorn: Kohl war vor bald vierzig Jahren erfolgreich, weil er auch inhaltlich starke politische Auftritte hatte – und weil er durch seine Generalsekretäre Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler, aber auch durch andere Weggefährten wie Richard von Weizsäcker und Bernhard Vogel eine neue CDU präsentierte und repräsentierte. Damals ging es um Reform der Verwaltung, Abschaffung der Konfessionsschulen, Mitbestimmung, einen neuen Dialog auch mit kritischen Intellektuellen. Kohl machte für die CDU nach der Adenauer-Ära die Fenster zu einer veränderten Gesellschaft auf, er ließ frische Luft und frische Namen in die muffigen Gemächer der CDU.

Heute stünde etwas Vergleichbares an, aber weit und breit ist nichts davon zu spüren. Die CDU schaut nach innen. Wenn die Adenauer-Stiftung zu Reform- und Zukunftswerkstätten einlädt, dann erscheinen fast immer nur die üblichen Verdächtigen, was Themen und Personen angeht. Was wäre heute ein entsprechendes Reformprogramm, wie könnte heute ein ähnlicher Aufbruch wie damals aussehen, fragt Prantl zu Recht. Das Verdienst seines Buches besteht nicht zuletzt darin, dass er den Bogen spannt von Kohls Erfolgen zu den Hypotheken, die er hinterlassen hat, die „Einheit der Nation und die Spaltung der Gesellschaft“. Geglückt sei die europäische Integration, aber „die soziale Integration im eigenen Land“ beginne zu zerbröseln.

Wo ist Angela Merkel? Prantl schreibt noch keinen Nachruf. Aber er erinnert nachdrücklich an die Hoffnungen, die es einmal gab, es ist noch nicht lange her: Die Schäuble/Merkel-CDU sei dabei gewesen, einen „aufgeklärten Konservativismus“ zu entwickeln. Prantl verbirgt nicht seine Enttäuschung über die neue Vorsitzende der CDU: „Sie schweigt sich um Kopf und Kragen.“ Wenn sie eines Tages scheitere, dann werde dies nicht wie bei Schäuble ein „ehrenvolles Scheitern“, sondern dann werde sie an ihrer eigenen Vorsicht scheitern. Prantl beschreibt einen Eindruck, den viele hatten, Freunde wie Kritiker, innerhalb und außerhalb der CDU: Irgendwie ist Schäubles Nachfolgerin politisch nicht zu fassen. Als ob sie ihre Truppen suchte, sie nirgendwo finden kann und es deshalb vorzieht, bis auf weiteres in der Deckung zu bleiben.

Doch der Eindruck kann täuschen. Unter ihrer Führung hat die CDU in den vergangenen Monaten, von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt, durchaus innovative Gedanken zu Sozialpolitik, zum Bildungssparen, zu einer subsidiären wie libertären „Stärkung der kleinen Einheiten“ entwickelt. Sie umgibt sich mit Frauen wie Annette Schavan und Hildegard Müller, und man muss ja nicht gleich wie Prantl von den „wilden Frauen“ in der CDU schwärmen, um hier einen neuen Stil und ein frisches Denken zu spüren.

Aber auch in der CSU gibt es neue Denkansätze zur Reform des Bundesstaates und, vom Fraktionsvorsitzenden Alois Glück gerade vorgelegt, zu einer aktiven Bürgergesellschaft. Wenn sich Nacht und Nebel, die dieses Buch noch einmal beschreibt, verzogen haben, wird die Arena wieder frei für Politik. Ob Laurenz Meyer als CDU-Generalsekretär eine kluge Wahl ist, dürfte sich schon bald erweisen. Aber man sollte die Hoffnung nie aufgeben. Zwölf Monate jedenfalls sind eine kurze Zeit, um einen Skandal aufzudecken, und eine lange Zeit, um die politische Aufmerksamkeit zu binden. Davon zeugt dieses Buch.

Hans Leyendecker/Heribert Prantl/Michael Stiller: „Helmut Kohl, die Macht und das Geld“. Steidl Verlag,Göttingen 2000, 608 Seiten, 48 DM

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