piwik no script img

„Ich fühle mich wie ein Veteran“

Interview: DANIEL BAX

 taz: Ein Waffenstillstand zwischen Israelis und Palästinensern scheint wieder möglich. Sie gehören zu den bekanntesten, politisch engagierten Künstlern in Israel. Wie haben Sie die Eskalation der letzten Monate empfunden?

Gewöhnlich würde ich unserer Seite den Vorwurf machen, zu starrköpfig oder zu gierig gewesen zu sein. Doch in den letzten Tagen verspürte ich sehr viel Ärger gegenüber Herrn Arafat. In der Geschichte gibt es immer wieder politische Führer, die in Kriegszeiten ihre Qualität beweisen, aber in Friedenszeiten nicht wissen, was sie tun sollen. Ich befürchte, Herr Arafat ist noch nicht bereit für den Frieden. Was würde er dann sein: Bürgermeister einer Kleinstadt, der sich um die Steuern kümmert? Es liegt wenig Heroismus darin, Brücken oder Straßen bauen zu lassen. Es ist viel einfacher, Kinder im Krankenhaus zu küssen. Ich glaube auch, dass eine Menge seiner Leute so denken wie ich. Aber man hört keine anderen Stimmen auf der palästinensischen Seite – weil es dort keine Demokratie gibt. Wenn dort etwas im Radio gesagt wird, was ihm nicht gefällt, lässt er das Programm abschalten.

Und wie ist es mit den oppositionellen Stimmen in Israel?

In Israel ist die Stimme der Linken immer noch recht stark, trotz allem demonstriert sie noch und tritt mit Petitionen an die Presse. Aber wir sind sehr niedergeschlagen, weil sich unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt haben. Dabei hatten wir wirklich das Gefühl, dass es einen Wandel geben würde. Premierminister Barak hat ja den Teufel aus der Flasche gelassen als er sagte, Jerusalem sei nicht heilig und könne zurückgegeben werden. Aber Arafat hat diese Chance nicht genutzt.

Sind zwei Staaten wirklich die richtige Lösung? Wäre es nicht besser, keine Grenzen zu haben, und dafür eine funktionierende Demokratie?

Ich glaube, das ist zu idealistisch gedacht. Zwei Staaten sind besser für beide Seiten – besonders für die Palästinenser, die gerade ihre eigene Identität entwickeln. Sie wollen ihr eigenes Bildungssystem, ihre eigene Kultur. Vielfalt ist gut – und ruhige Grenzen.

Welche Rolle spielen Frauen auf beiden Seiten im Friedensprozess?

Ich glaube, Frauen sollten eine größere Rolle im politischen Leben spielen – ich möchte glauben, dass es dann weniger Krieg gäbe. Aber Israel ist immer noch eine Macho-Gesellschaft – auch wegen der ständigen Sicherheitsfragen. Dennoch: Es gibt da diese Gruppe von Frauen, die „Vier Mütter“, deren Söhne im Libanon gedient haben – und zum Teil gefallen sind. Die Mütter haben der Regierung keine Ruhe gelassen. Am Anfang haben alle sie nur belächelt, besonders die Generäle. Aber am Ende haben diese Frauen es so weit gebracht, dass wir uns aus dem Libanon zurückgezogen haben, nach zwanzig dunklen Jahren! Einfach so (schnippt mit den Fingern).

Gibt es auf palästinensischer Seite Aussichten auf eine ähnliche Bewegung?

Natürlich! Vor Jahren, als die Intifada begann, gehörte ich zu einer Gruppe von Schriftstellern und Künstlern, die in die besetzten Gebiete ging, um dort Kollegen zu treffen. In der letzten Zeit hat das etwas nachgelassen, ich weiß nicht warum. Aber ich glaube fest, dass Frauen etwas verändern können – wir stellen schließlich unsere Söhne bereit.

Wann begannen Sie, sich politisch zu engagieren?

Das war 1977, als Sadat nach Israel kam, und die „Peace Now“-Bewegung startete. Davor engagierte ich mich hier und da, aber seitdem habe ich mich sehr stark gemacht, und den jeweiligen Bewegungen angeschlossen – sogar einer, die vielen Leuten zu extrem war: sie richtete sich Anfang der 80er Jahre dagegen, den Wehrdienst im Libanon zu machen – also gegen die Armee!

Was können Künstler, speziell Musiker, zum Friedensprozess beitragen?

Wenn ein Künstler Gedanken mit lauter Stimme artikuliert, fühlen sich die Menschen besser: man weiß, dass man nicht allein ist, jemand spricht für einen. Ich glaube, auch den Palästinensern tut es gut, eine andere Stimme zu hören – sonst hört man nur die Waffen, und die sind sehr laut.

Musiker der jungen Generation, scheint mir, erheben ihre Stimme nicht mehr so deutlich.

Das stimmt. Und es sind nicht nur die Musiker, das gilt auch für die Schriftsteller. Immer wieder hört man von Amos Oz oder Alivbeith Joshua. Aber die populären jungen Schriftsteller schreiben über andere Dinge, nicht mehr über Politik. Aber das ist auch in Ordnung so. Wissen Sie, warum ich denke, dass das gut ist: weil das vielleicht einer der Gründe sein wird, dass die Gewalt aufhört – weil sich die Leute einfach nicht mehr dafür interessieren. Vielleicht ist das der Weg zu einem normalen Leben.

Techno ist sehr populär in Israel. Es sollte sogar eine Love Parade geben, die dann aber abgesagt wurde.

Ja, wegen der aktuellen Lage, schrecklich. Meine Musiker, die sehr jung sind, machen da voll mit. Ich glaube, der Erfolg von Techno ist auch eine Reaktion auf die alltägliche Spannung in Israel, es ist eine Rebellion gegen alles. Ich bin kein Psychologe, aber ich denke, nach ihrem Wehrdienst haben die Jugendlichen erst einmal genug von all diesem Sicherheitsding und dem Nationalismus, und sie wollen auch keine Lieder mit Botschaft mehr hören – sie wollen einfach nur noch Spaß. Und das sollen Sie haben! Ich wünschte mir, es gäbe nur noch Techno und Tanz in Israel, und keine Uniformen mehr. Ich fühle mich manchmal wie ein Veteran – wie oft sollen wir noch zu Demonstrationen aufrufen? Mir macht es nichts aus, wenn die jungen Leute da nicht mehr hingehen. Make Love, not War (lacht).

Sie sind eine der bekanntesten Sängerinnen ihres Landes, in Deutschland aber wenig bekannt. Haben sie eine Erklärung dafür, warum Musik aus Israel es im Westen so schwer hat, Gehör zu finden?

Ich denke, weil es ein so junges Land ist. Israel existiert seit gerade einmal fünfzig Jahren, und unsere Musik ist etwas, das immer noch im Entstehen ist – das kann man nicht mit griechischer oder russischer Musik vergleichen. Trotzdem gibt es eine Musik, die in ihrer Mischung unverkennbar israelisch ist. Was es uns schwer macht, israelische Musik der Welt zugänglich zu machen, ist die Sprache: nur wenige verstehen Hebräisch. Es wird seine Zeit dauern. Aber ich hoffe, dass die Leute eines Tages mehr über unsere Kultur wissen, statt nur über unsere Politik.

In Israel haben Sie über 50 Alben veröffentlicht. Nur zwei davon sind auch in Deutschland erschienen: eines mit jiddischen Liedern sowie „The Well“, eine Koproduktion mit den Klezmatics, einer progressiven Klezmer-Band aus New York. Die Deutschen kennen also nur Ihre jiddische Seite. Was bedeutet die Ihnen selbst?

Ich entdeckte in den 60ern, zu den Zeiten des Folk-Revival den Schatz des Jiddischen. Erst später verstand ich, dass es sich dabei um ein Vermächtnis handelte. Meine Eltern konnten Jiddisch und Polnisch, aber im Grunde wollten sie Hebräisch sprechen. So ist es doch oft mit Immigranten: die Eltern wollen die neue Sprache lernen, und die Kinder wollen sich an die alte Sprache erinnern. Für mich bedeutet auf Jiddisch singen, meinen Großeltern zu lauschen, die ich nie kennenlernen durfte. Es ist, wie in ein altes Fotoalbum zu schauen.

In Israel singen Sie aber vor allem auf Hebräisch, das Jiddische ist dort eher verpönt. Wie stehen Sie dazu?

Jiddisch ist in Israel die Sprache alter Leute. Es wurde als altmodisch empfunden, und in Verbindung gebracht mit der Diaspora – einer Welt, die man lieber vergessen wollte. Man wollte lieber etwas Neues schaffen. Doch durch den Trend zur Weltmusik wurde das Jiddische nun ein wenig rehabilitiert.

Hat der Klezmer durch die Einwanderung aus Osteuropa eine Auffrischung erfahren?

In den 50ern, als meine Eltern nach Israel kamen, war der Einfluss auf die Musik groß, wir haben noch viele russische Lieder gesungen. Aber die Russen, die heute kommen, kennen diese Musik gar nicht mehr – ihre Musik ist der Rock‘n‘Roll. Sie sind sehr stark von amerikanischer Musik beeinflusst – die frischt heute die ganze Welt auf (lacht).

War die Klezmer-Welle, die in den 80ern in den USA losbrach, ein Schock für Israel?

Wir haben davon überhaupt nichts gewusst (lacht)! Und in Israel hat das auch kein Echo hervorgerufen. Klezmer ist kein Thema in Israel.

Immer noch nicht?

Nein, und das wird es auch nicht sein, denn es ist Teil unseres Alltags: auf Hochzeiten, im Urlaub. Es ist nichts, für das man auf ein Konzert gehen würde. Es ist doch oft so: Wenn man etwas ständig um sich hat, fehlt einem die Distanz, es wirklich würdigen zu können. In den USA bot Klezmer den amerikanischen Juden aber einen Weg, sich selbst auszudrücken, und sich mit etwas zu identifizieren. Mit Worten ist das nicht so einfach: selbst die größten jüdischen Schriftsteller, wie Bashevis Singer etwa, kennt man dort nur in englischer Übersetzung, er schrieb aber auf Jiddisch.

Wie hat man in Israel auf ihre Zusammenarbeit mit den Klezmatics reagiert? Versteht man deren Ansatz, oder kommt das dort als verkappter Konservativismus an?

Schon – aber die Klezmatics sind aus New York. Sie klingen jüdisch, aber auch auf eine gewisse Art amerikanisch. Unser Album ist auch kein klassisches Klezmer-Album, es wurde von allen möglichen Stilen inspiriert. Ich wollte es mit den Klezmatics machen, weil ich diese spezielle Gruppe wirklich mag: sie sind nicht sehr traditionalistisch und ein bisschen verrückt, und sie sind gute Freunde von mir.

In Deutschland ist die Band bekannter als Sie. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Klezmer gerade in Deutschland so populär ist?

Sarkastisch gesprochen: Manchmal ist es vielleicht einfacher, die Musik anderer schätzen zu lernen, wenn diese schon davongegangen sind. Vielleicht fühlen die Leute, dass etwas fehlt, und es ist ein Versuch, etwas zurückzubringen, das man eigentlich nicht zurückbringen kann. Also bringt man wenigstens den Klang zurück, die Musik – wie ein Echo, ein Schatten. Aber es sind nur die Klänge der Vergangenheit, keine Realität. Es ist schon komisch: heute finden in Osteuropa an Orten, wo absolut keine Juden mehr leben, plötzlich „Jüdische Festivals“ statt, etwa in Prag. Was soll das heißen: ein jüdisches Festival, wenn es keine Juden mehr gibt? So etwas sehe ich mit gemischten Gefühlen. Ich denke aber auch, dass es eine andere, positivere Art ist, auf den Holocaust zu blicken. Statt sich nur schuldig zu fühlen, schafft man etwas Neues, zu dem man eine emotionale Verbindung hat.

Was bedeutet es für Sie, in Deutschland zu spielen?

Ich bin erst spät hierher gekommen, um zu spielen; viele Jahre habe ich mich dazu noch nicht in der Lage gefühlt. Ich habe das Gefühl, wirklich etwas zu teilen, und dass die Leute wirklich etwas kennenlernen, das sie vorher noch nicht kannten. Vor ein paar Jahren hatten wir eine Tour, da kamen wir in Ostdeutschland an Orte, wo die Leute noch nie einen Juden gesehen hatten. Sie dachten, ich hätte vielleicht eine Art Teufelsschwanz!

Wie bitte?

Ja, es war so seltsam! Sie brachten eine Schulklasse zum Konzert, und sie hatten solche Vorstellungen, wie im Mittelalter. Wir waren schockiert! Aber das ist der Weg, sich den Menschen zu nähern – Schritt für Schritt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen