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„Die schicke ich nirgendwohin!“

Bürgermeister Hans-Josef Vogel von der CDU kämpft für das Bleiberecht der Kosovo-Albaner. NRW-Innenministerium verlängert Abschiebefrist bis 2001

aus Arnsberg HEIDE PLATEN

Ein Hüne, ein Mann wie ein Berg, nicht drohend und dunkel, sondern ein Schneeberg im Sommersonnenschein. Obenauf leuchten die kurzen, weißgrauen Haare, darunter das runde, junge Gesicht mit den graublau glänzenden Gletscheraugen, ein strahlendes Lächeln. Der riesige Körper mit dem barocken Bauch steckt in einem zeltweiten grauen Anzug, 1,98 Meter hoch, die Weste klafft, Schuhgröße 48: „Das Gewicht verrate ich nicht!“ Hans-Josef Vogel (CDU) ist 44 Jahre alt, Jurist, Verwaltungsfachmann und seit 1999 Bürgermeister der Bezirkshauptstadt Arnsberg im südwestfälischen Hochsauerland. Manchmal gewittert es auf dem Gipfel, sagen seine Mitarbeiter. Dann tönt aus der Bürgermeisterstube ein herzhaftes „So ein Mist!“

Abschiebung ist längst überholt

Vogel kann sich nicht verstellen. Ihm ist anzumerken, wenn er wieder einmal etwas ziemlichen „Mist“ findet. Und das galt auch für einen Erlass des nordrheinwestfälischen Innenministers Fritz Behrens (SPD), der die Kommunen im Frühjahr 2000 erreichte. Kosovo-Albaner, stand da zu lesen, sollten laut Beschluss der Innenministerkonferenz vom November 1999 entweder bis zum Ende des Jahres 2000 freiwillig ausreisen oder aber postwendend abgeschoben werden, notfalls auch mit Gewalt.

Dieser Beschluss, befand Vogel, sei politisch längst überholt. Einwanderung sei aus wirtschafts-, arbeitsmarktpolitischen und demografischen Gründen wünschenswert. Er verweigerte den Gehorsam und setzte sich für die von Abschiebung bedrohten Kosovo-Albaner ein – in Arnsberg 158 Erwachsene und 114 Kinder. Sie sollen bleiben dürfen. Was mache es denn für einen Sinn, die im Ort und ins örtliche Handwerk integrierten, in Lohn und Brot stehenden Menschen fortzuschicken und per Green- oder Blue Card 2001 anderswoher wieder andere zu holen: „Das verstehe ich nicht, das versteht auch kein Bürger.“ Vor allem nicht die mittelständischen Betriebe vor Ort, die Handwerksmeister, die ihre arbeitswilligen, hochmotivierten, ganz ohne Zweifel bestens integrierten Facharbeiter nicht wieder hergeben wollen. Der Mittelstand lief Sturm im Rathaus.

Im Widerspruch zur eigenen Partei

Vogel reagierte und setzte sich prompt nicht nur in Widerspruch zu dem sozialdemokratischen Innenminister, sondern auch zur eigenen Partei. Der Mittelstand, gab Vogel dieser zu bedenken, bestehe im mehrheitlich katholischen Arnsberg mit alter Zentrumstradition auch aus CDU-Stammwählern, und zwar solchen, „die um ihre Arbeitskräfte fürchten“. Da müsse man den vermeintlichen Stammwählern vom rechten Rand nicht nach dem Munde reden: „Die CDU hat die Landtagswahlen hier mit dem Ausländerthema verloren.“

Der SPD-Innenminister drohte dem CDU-Bürgermeister im August mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Sich mit der Düsseldorfer Landesregierung zu streiten, das ist nicht gerade eine der schwersten Übungen für den christdemokratischen Querdenker Vogel, der der rot-grünen Regierung im Arnsberger Rathaus 1999 die fünfzehn Jahre lang ungebrochene Mehrheit abgenommen hatte. Um die parteipolitische Farbenlehre, sagt Vogel, gehe es ihm gar nicht, sondern um den schlichten Menschenverstand. Und an dem mangelt es seiner Meinung nach derzeit parteiübergreifend sowohl im Innenministerium des Landes wie auch in der eigenen Partei und in der gesamten Bundespolitik: „Ich verstehe die ganze Diskussion nicht mehr!“ Da lässt er lieber einen Grünen gelten, den Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit, der schon vor Jahr und Tag ein Einwanderungsgesetz gefordert hatte: „Wir waren, wir sind, wir werden ein Einwanderungsland sein.“

Und aus den ehemaligen Kriegsflüchtlingen seien im Lauf der letzten zehn Jahre, völkerrechtliche Vereinbarungen hin oder her, Zuwanderer geworden. Wenn denn schon immerzu von Integration geredet werde, gelte die in besonderem Maße für die Kosovo-Albaner vor Ort und für deren Familien als gelungen: „Die haben doch alles erfüllt, selbst für rechte Positionen. Fast übererfüllt!“ Überangepasst mag er sie nicht nennen, aber: „Das sind die perfekten Deutschen geworden!“ Oder besser so: „Sie haben bei uns durch ihr eigenes Mitwirken eine neue Heimat gefunden und gestalten sie verantwortlich mit.“

Im Metallbetrieb Schiebler im Stadtteil Hüsten steht so ein Musterexemplar im Büro. Fadil Bitic lächelt schüchtern und setzt sich vorsichtig. Er ist 1992 mit seiner Frau aus dem Kosovo geflüchtet, nachdem er von der serbischen Polizei bedroht worden war. Die beiden Söhne Fadbardh (7) und Fatlum (5) sind in Deutschland geboren. Seit 1997 arbeitet er bei Klaus Schiebler. Dessen alter Firmenslogan steht außen am Flachbau: „Drücken Ziehen Stanzen“. Im neuen Werbeprospekt klingt das eleganter: „Wir formen Ideen aus Metall.“ Der Betrieb fertigt mit 17 Angestellten Reflektoren für die heimische Leuchtenindustrie. Chef Schiebler weiß, was er an seinem „Herrn Fadil“ hat: „Er ist ein fleißiger und treuer Mitarbeiter.“ Deshalb hat er den gelernten Koch – „und das war sehr teuer“, sagt er – zum Metallfacharbeiter ausbilden lassen. Jetzt bedient Bitic den computergesteuerten Drückautomaten, der auch in der Broschüre der Firma zu sehen ist. Er lastet die Neuanschaffung aus, scheut keine Überstunde. Er sei, sagt Schiebler, „einer der wenigen, die das mitmachen.“

Und nun soll Bitic ausgewiesen werden? Schiebler schrieb an Bürgermeister Vogel und sagt nun, was der auch sagt: „Ich verstehe das nicht!“ Die einen sollen ausreisen, die anderen einreisen? Er blickt auf Bitic: „Mit denen hier wissen wir, was wir haben. Was wir kriegen, wissen wir nicht.“ Vorwürfe aus Düsseldorf, der Arnsberger Mittelstand wolle sich doch nur seine billigen Arbeitskräfte erhalten, weist er empört zurück. Schiebler nimmt kein Blatt vor den Mund. Das tue er, sagt er, sehr zum Missfallen vieler, auch bei den regelmäßigen Treffen des Flüchtlingsrates nicht: „Die sahen alle aus wie Grüne.“ Nur „Arbeitswillige und Härtefälle“ sollen, hat er dort gesagt, in Deutschland bleiben dürfen: „Da waren sie sauer.“

Handwerksmeister wie Schiebler, sagt Vogel, das sind ihm als Verbündete „die liebsten“: „Das sind doch alles brave Menschen, die sich für das Gemeinwohl im Ort einsetzen.“ Die Liste der nordrhein-westfälischen Mitstreiter ist mittlerweile lang. Gartenbaubetriebe sind dabei, Straßenbauer, Elektrofirmen, Alten- und Krankenpflege, Gastwirte. Sie haben sich in der „Initiative gegen die Ausweisung von wichtigen Arbeitskräften aus dem ehemaligen Jugoslawien“ zusammengeschlossen. Einige der sonst ganz braven, gesetzestreuen Leute erwägen inzwischen, „ihre“ Kosovo-Albaner im Notfall zu verstecken.

Dem Bürgermeister hat der Innenminister mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gedroht. Der Jurist Vogel winkt ab. Schon wahr: „Die Rechtslage ist so.“ Auch wenn sie eine „Schieflage“ sei. Aber hinter jeder Rechtslage stehe eine politische Willensbildung und dann eine Entscheidung, die sich der gesellschaftlichen Realität anpassen müsse. Keine Aufgeregtheiten bitte, „alles viel gelassener sehen“ und: „Warten wir mal ein Jahr ab, dann sieht das alles ganz anders aus.“

Bis dahin setzt sich Vogel auch gerne in Widerspruch zu einem örtlichen Parteifreund: CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz stammt aus Arnsberg. Die von diesem losgetretene Diskussion um die Leitkultur ist Vogel gründlich leid: „Wir haben heute eine Vielzahl von Identitäten.“ Er selbst sei zu allererst Neheimer aus dem Stadtteil Neheim-Hüsten, Arnsberger dann, auch noch Sauerländer, Westfale und deshalb vielleicht ein bisschen stur. Am nähesten aber, scheint ihm, sei den Menschen die lokale Identität. Die werde gerade „bei globalen Prozessen“ immer wichtiger. Da kann sich Vogel in Rage reden. „Die Integration“ als solche sei nur ein Wort, als Wert sei sie nicht zu haben. Integration finde, da können „die“ in Berlin und in Düsseldorf noch so viele Gesetze erlassen, weder auf Bundes- noch auf Landesebene statt, auch nicht im Internet, „sondern da, wo die Menschen ihre körperliche Anwesenheit haben“: „Jeder lebt anders, an der Universität wie in Oberammergau.“

„Wir stehen hier auf der Seite der Opfer!“ Der Zeigefinger tippt staccato auf den Tisch: „Frauen, die mehrfach vergewaltigt wurden, die schicke ich nirgendwohin!“ Und mit Nachdruck: „Das geht ja gar nichts anders! Wir sind hier eines der reichsten Länder der Welt! Wo kommen wir denn da hin?“ Der Zorn gewittert in den Gletscheraugen: „Das kann ich mir nicht vorstellen, dass meine Mitarbeiter in die Schulen und Betriebe gehen und die Leute mit Gewalt rausholen.“ Grausam sei das: „Klamotten weg bis auf 20 Kilo, Geld weg für die Abschiebekosten, die Wohnung verhökert!“

Ein aufmüpfiger Zusatz

Im vergangenen Monat konnte Vogel einen ersten Erfolg verzeichnen. Das Innenministerium verlängerte die Abschiebefrist bis zum 31. Juli 2001. Der neue Erlass, so Vogel, sei „ein erster Erfolg des Engagements des Handwerks und seiner Initiative in unserer Stadt“, ein „Schritt in die richtige Richtung“. Auch Handwerksmeister Schiebler ist erst einmal zufrieden mit dem Zeitgewinn. Die Auflagen des neuen Runderlasses gefallen ihm allerdings weniger. Danach soll Fadil Bitic sich freiwillig zur Ausreise bereit erklären und Schiebler selbst sich verpflichten, seinem Musterangestellten zu diesem Termin zu kündigen. Das hat er nun auch brav getan, allerdings mit einem aufmüpfigen Zusatz: „Sollte Herr Fadil Bitic zu dem Zeitpunkt nicht aus Deutschland ausgewiesen werden, steht einer weiteren Beschäftigung bei der Fa. nichts im Wege.“ Wenn es eine Gesetzesänderung gibt, sagt Schiebler und lächelt fein, „dann ist diese Unterschrift null und nichtig“.

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