schlägerei vor 27 jahren: Die Hybris des Joschka Fischer
Joschka Fischer hat die Gnade der frühen Geburt. Wer vor dreißig Jahren jung war, der gönnte sich vieles. Auf den Putz hauen, Polizisten klatschen und wirren Theorien anhängen. Und der Außenminister gehört einer glücklichen Generation an. Denn keine hat das Recht auf jugendliches Irresein, auf ultimative Wahrheit und das Recht auf Schwachsinn so selbstverständlich für sich reklamieren dürfen wie sie.
Kommentarvon EBERHARD SEIDEL
Kein Wunder also – Fischer ist im Reinen mit sich und der Welt. Sicherlich, da gibt es ein paar unfeine Dinge wie Polit-Hooliganismus und Omnipotenz. Aber Fischer hat das für sich aufgearbeitet und es nun per Stern der Welt erklärt: „Vietnam, Notstandsgesetze, der Mordanschlag auf Rudi Dutschke, der Kontinuitätsverdacht zwischen NS-Staat und Bundesrepublik“ – es gab viele Gründe für Militanz, gibt er zu bedenken. Und das staatstreue Bürgertum inklusive Bild verzeiht ihm. Kein Wunder. Fischer ist längst einer von ihnen, sie haben von ihm nichts mehr zu befürchten.
Fischer proklamiert mit seinem persönlichen Rückblick gleichzeitig das Ende der Geschichte. Anders als zu seiner Jugend gebe es heute keine Legitimation mehr für Militanz, erzählt er Stern. Als Ultima Ratio dürfe Gewalt nur dort eingesetzt werden, wo es um das Leben und die Freiheit ginge. Im Kosovo zum Beispiel? Da ist sie wieder, die alte Hybris Fischers: Die Welt ist so, wie ich sie interpretiere. Und Unrecht geschieht nur dort, wo ich es sehe.
Aber seit Fischers Jugend hat sich wenig geändert. Nach seiner Logik müsste es auch heute noch viel Anlass für Krawall geben: eben den Kosovokrieg, die Militarisierung des Alltagslebens in Deutschland, unmenschliche Abschiebungen, soziale Ungerechtigkeiten, von dem Elend in der Dritten Welt ganz zu schweigen. Aber für sein Ebenbild in Gestalt von Autonomen und Antifas haben Leute wie Fischer nur noch Polemik, Aggression und – wie im Falle des Werfers des Farbbeutels – Repression übrig.
Nein, das Ende der Geschichte ist nicht erreicht. Auch heute nehmen jugendliche Subkulturen und Jungmachos das Recht für sich in Anspruch, die vorgefundene Welt nicht zu akzeptieren und notfalls mit Gewalt zu verändern. Zum Beispiel der Teil der Skinhead-Bewegung, der nichts mit rassistischen Übergriffen am Hut hat. Er hat in seiner Gesellschaftskritik, seinen männlichen Allmachtsfantasien und antibürgerlichem Habitus mehr mit dem jungen Fischer gemeinsam, als dem alten heute lieb sein kann.
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