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„Bayrischer Sonderweg halbherzig“

In Bayern gerät Sozialministerin Barbara Stamm immer mehr unter Druck. In der BSE-Krise habe sie wichtige Sicherheitsvorkehrungen nicht veranlasst oder sogar verhindert. Nun ist Ministerpräsident Stoiber gefragt

von KLAUS WITTMANN

Die Entscheidung, die der Westerheimer Bauernverbandsobmann Leonhard Kirchensteiner getroffen hat, ist nicht nur für den Bauern und seine Familie einschneidend. Sie könnte auch der Anstoß für den Rücktritt der bayerischen Sozialministerin Barbara Stamm sein.

Landwirt Kirchensteiner hat sich bereit erklärt, seine inzwischen 145 Tiere heute abholen und töten zu lassen. „Durch den bayerischen Sonderweg wird der schwarze Peter an die Bauern weitergegeben“, sagt seine Frau Annegret. „Was nützt es, wenn wir jeden Tag die Tiere füttern, die Kühe melken, danach die Milch vernichten und das Fleisch nicht verwerten dürfen?“

Den von Ministerpräsident Stoiber verkündeten „bayerischen Sonderweg“ halten die Bauern zwar nahezu uneingeschränkt für richtig. Er nütze aber gar nichts, solange er nicht bundesweit Rechtskraft erlange. Bauern und Molkereien die Entscheidung über das Keulen – wie die Massentötung in der Amtssprache heißt – zu überlassen, sei nur ein Verschiebebahnhof.

Für den Unterallgäuer Landwirt Andreas Blank, einen ausgewiesenen BSE-Experten und Teilnehmer an der Expertenrunde im bayerischen Sozialministerium, zeigt sich hier einmal mehr, wie überfordert die Sozialministerin und ihre vermeintlichen Experten sind. Noch im August habe Stamm verkündet, dass die Herausnahme des spezifischen Risikomaterials nur die Verbraucher verunsichere. Und noch im November habe sie behauptet, Deutschland sei BSE-frei.

Ein unvorstellbares „Herumgeeiere“ seien die Erklärungsversuche gewesen, warum die Gehirnproben im Landesuntersuchungsamt Südbayern nicht auf BSE untersucht wurden. Die EU-Veterinäre hatten dies nach einer Überprüfung massiv kritisiert. „Frau Stamm hat gesagt, in Bayern würden auf Weiden und auf den Almen Kadaver herumliegen und es würde Tage dauern, bis die Gehirne in Schleißheim seien. Daher sei das Gewebe oft so degeneriert, dass eine Untersuchung oft nicht möglich sei. Das ist doch völliger Quatsch“, so Blank.

BSE-Expertin Dagmar Heim vom schweizerischen Bundesamt für das Veterinärwesen habe in der Expertenrunde am Mittwoch erklärt, dass sowohl degenerierte als auch tiefgefrorene Gehirne immunhistochemisch auf BSE untersucht werden könnten. „Wenn sich eine Ministerin so unwissend gibt, dann wurde sie von ihren Beratern völlig falsch informiert, und demzufolge muss nicht nur sie, sondern auch ihre vermeintlichen Experten Konsequenzen ziehen und zurücktreten.“

Selbst in den sonst so geschlossenen eigenen Reihen gerät die Sozialministerin immer mehr unter Druck. Die Tatsache, dass sich Ministerpräsident Edmund Stoiber noch immer hinter Stamm und den ebenfalls als „Wackelkandidat“ geltenden Landwirtschaftsminister Josef Miller stellt, gilt vielen im Freistaat als nicht ungefährlich für Stoiber selbst. Die Opposition im Landtag spricht längst davon, dass aus dem Fall Stamm/Miller rasch ein Fall Stoiber werden könnte. Als Nachfolger für Stamm und Miller werden CSU-Fraktionschef Alois Glück und Generalsekretär Thomas Goppel für das Landwirtschafts- und die Bundestagsabgeordnete Maria Eichhorn für das Gesundheitsministerium gehandelt.

Dass sich der Taktiker Stoiber tatsächlich noch weiter in den BSE-Strudel mit hineinziehen lässt, halten viele Bauern für unwahrscheinlich. Die Rücktritte seien nur eine Frage der Zeit.

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