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Ehrlichste Haut des Ostens

Heute wird Gustav-Adolf „Täve“ Schur, zweifacher Rad-Weltmeister, Friedensfahrt-Sieger, populärster Sportler der DDR und Bundestagsabgeordneter der PDS, 70 Jahre alt

von RÜDIGER KREMERS

Der Gagarin der Landstraße, der Uwe Seeler der Ostzone, der Täve ist alles. Und 70 ist der Täve auch. Heute hat er Geburtstag: der beliebteste, berühmteste und beste Mensch, den die DDR je hervorgebracht hat. Beliebter als Helga Hahnemann, berühmter als Kati Witt, besser als Siegmund Jähn.

Gustav-Adolf Schur, genannt „Täve“, wurde 1931 in Magdeburg geboren, er lernte Maschinenschlosser und Schmied, ließ sich, um besser trainieren zu können, zum technischen Zeichner umschulen und studierte Sport an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig. Täve gewann zweimal die Friedensfahrt, Täve wurde zweimal Weltmeister, er war am häufigsten – neunmal – DDR-Sportler des Jahres, und es dürfte vermutlich noch nie ein Artikel über Täve erschienen sein, in dem nicht die Geschichte mit Eckstein erzählt wurde. Also: 1958 in Reims und 1959 in Zandvoort wurde Täve Radweltmeister und 1960 war er auf dem Sachsenring der große Favorit. Schur sorgte dafür, dass der Belgier Willy van den Berghen sich ganz auf ihn konzentrierte und seinen Kollegen, den DDR-Fahrer Bernhard Eckstein, aus den Augen ließ, der Weltmeister wurde. An diesem Tag wurde Täve Schur unsterblich: der Einzelsportler, der sich dem Kollektiv unterordnet, die sportliche Botschaft dessen, was die DDR sein wollte.

Über Täve gibt es sechs Bücher, mindestens. Das erste hieß einfach „Täve“, da war er noch nicht Weltmeister. Dann erschien eins, das Täve als sozialistisches Vorbild für die deutsche Jugend schildert. Autor ist „Klaus Ullrich“, eigentlich Klaus Huhn, Sportchef des Neuen Deutschland und bis heute enger Berater von Täve. Das dritte Buch ging in die Weltliteratur ein. Es ist „Das dritte Buch über Achim“ von Uwe Johnson. Da geht es um Täve, also um den „Beliebtesten eines ungeliebten Landes“. Bei Johnson heißt es: „Sein Ruhm schien uneigennützig, denn seine Siege gehörten nicht ihm.“ Und: „Der Staat liebte ihn, und er liebte den Staat.“ Achim, also Täve, wurde in die Volkskammer gewählt. Schur sagte in einem Interview, er habe in Johnsons Buch „mal kurz reingeguckt, aber ehrlich gesagt, ich bin nicht dazu gekommen, es zu lesen“. Es sei „auf jeden Fall kein Radsportbuch, sondern eher ein Versuch, meine Popularität politisch umzudeuten“. Johnsons Buch erschien in der DDR nicht.

Täve beendete 1964 seine sportliche Karriere – aus eigenem Willen, bei einem Qualifikationsrennen für die Olympischen Spiele. Kurze Zeit später wurde er Trainer, aber nicht sehr erfolgreich. Er bekleidete Funktionen im Deutschen Turn- und Sportbund der DDR, und er saß weiter in der Volkskammer. Täve war hauptberuflich DDR-Symbol. Galt in den späten Jahren Katarina Witt als das schönste Gesicht des Sozialismus, so war Täve immer die ehrlichste Haut des Sozialismus.

Nach der Wende wurde Täve arbeitslos. Seinem Sohn Gus-Erik richtete er „Täve’s Radladen“ in Magdeburg ein. Sohn Jan, anders als der Vater Olympiasieger, wurde Radprofi in Italien und errichtete nach seiner Karriere im Harzort Schierke „Täve’s Sporthotel“; es machte Pleite, denn Vater und Sohn hatten zu sehr Architekten, Handwerkern und der Bank vertraut. Täve selbst betreute Radtouren mit Urlaubern in Spanien und Frankreich, organisiert von Klaus Huhn. Der ließ es sich auch nicht nehmen, 1992 „Das vierte Buch über Täve“ vorzulegen, eine Art Anti-Johnson. Es wollte „den Menschen nachzeichnen, der sich sportlichen Ruhm erkämpfte, Popularität und politisches Ansehen erwarb und in den Wirren zwischen Wende und brachialem kapitalistischem Markt erlebte, daß man ihn weiter achtet“.

Täve wurde Rentner, machte, weil er zu herzensgut war, Schulden, und 1998 kam Gregor Gysi auf die Idee: Täve soll für die PDS in den Bundestag, Direktmandat in Leipzig-Süd. Das hatte Täve eigentlich nicht gewollt. „In den Bundestag bin ich nicht mitgegangen“, erzählte er 1996, denn: „ständig diese Stänkerei“. Dabei war Täve nie unpolitisch. Als 1997 die Druckerei der Magdeburger Volksstimme bestreikt wurde, weil die Arbeitsbedingungen unzumutbar waren und der Arbeitskampf wegen eingeflogener Streikbrecher zu kippen drohte, da meldete sich Täve, der Gute, zu Wort: Die Parteien sollten sich doch lieber einigen, statt zu streiten, „wir brauchen unsere Tageszeitung.“ Auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte er zum Rechtsextremismus: „Hitler hat die Probleme ja noch in den Griff gekriegt, indem er Autobahnen baute. Heute sind die Probleme zu groß dafür.“ Täve war zu beliebt, als dass man es ihm übelgenommen hätte. Sogar Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza nahm bei seinem Aufruf zum Wahlboykott die Wähler in Leipzig-Süd aus: Die sollten doch bitte dem verdienten Radsportler Täve Schur ein Auskommen besorgen.

Täve kam in den Bundestag, nun hockt er dort, warnt vor Drogen und hofft, dass die Jugend Sport treibt. Zuletzt eröffnete er das Berliner Sechstagerennen mit einem Startschuss. Zu Täves Geburtstag wird die PDS am 6. März im Berliner Velodrom ein großes Fest geben, die Halle wird voll werden. Denn Täve ist der beliebteste, berühmteste und beste Mensch, den die DDR je hervorgebracht hat.

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