piwik no script img

Mit einem Bein vor Gericht

■ Vor Gericht: Kaufhausdetektive und Wachleute jagten Ladendieb und schlugen ihn

Richter Raffael Krispien hat Verständnis für die „Gratwanderung“, die Sicherheitsleute täglich vollbringen müssen: „Wenn man für Recht und Ordnung sorgen soll, steht man mit einem Bein immer vor Gericht.“ Deshalb ist er auch den beiden Kaufhausdetektiven, die vorigen Juli zusammen mit vier weiteren in der City einen Ladendieb bei dessen Festnahme verprügelt haben, „im Grunde nicht schlecht gesonnen“. Da es aber „natürlich nicht geht“, jemanden „zu schlagen, wenn er schon am Boden liegt“, verurteilte er die beiden gestern zu einer Geldstrafe von je 2700 Mark wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung – in einem minder schweren Fall.

Zu sechst hatten Detektive mehrerer Kaufhäuser damals Sven O. durch die Spitaler Strasse gejagt, weil dieser bei Karstadt eine Lederjacke geklaut hatte. Einer der Verfolger stellte ihm ein Bein, die sechs umringten ihn und schlugen zu: Ins Gesicht, den Magen, die Nieren. „Er konnte sich gar nicht wehren, weil die anderen Detektive ihn festgehalten haben“, sagt ein älterer Seemann, der damals Zeuge wurde. „Die haben den unglaublich malträtiert“, bestätigt auch eine Rentnerin. Sie habe den Detektiven mehrfach zugerufen, dass sie das Prügeln sein lassen sollten und sich dafür auch noch anhören müssen: „Halt's Maul.“

Einer der Wachleute hatte sogar einen Totschläger dabei, den er Sven O. in den Magen gerammt haben soll. „Wir wollten eigentlich nur dem Detektiv von Karstadt helfen“, sagt der Angeklagte Sedat K. Beide bestreiten, zugeschlagen zu haben. „Die Zeugen haben alle nicht die Wahrheit gesagt“, ist seine Version.

Der misshandelte Sven O. hat seinen Diebstahl vor Gericht freimütig eingeräumt. Angeklagt wurde er dafür bisher nicht, was Richter Krispien “gar nicht schmeckt“, wie er dem Staatsanwalt missbilligend mitteilt: „Dass Herr O. noch gar nichts davon hatte, gefällt mir überhaupt nicht.“ Während er das sagt, feixen die angeklagten Detektive vor sich hin.

Ihnen billigt der Richter zu, nur einen minder schweren Fall der Körperverletzung begangen zu haben. Denn zum einen habe er nicht mehr eindeutig feststellen können, ob sie selbst zugelangt hatten oder nur die Schläge und Tritte ihrer Kollegen mitunterstützten. Und zum anderen, so der Richter, war der Misshandelte „immerhin ein Junkie, der permanent klaut. Vielleicht weiß der auch, wofür das gut war.“ Elke Spanner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen