: Für fünf Mark bringen wir Sie um die Ecke
Einmal Kurzstrecke bis zum Paracelsusbad, Rauchen ist gestattet: „Ich hab nichts anderes gemacht als die Regierung auch“, sagt der Fahrgast und nuckelt an seiner Zigarette. „Ich hab Waffen vertickt. Hab sie in Belgien eingekauft und hier verkauft. Und meine Frau hat mich verpfiffen.“
von FELIX HERBST
Als die Kurzstrecke eingeführt wurde, gab es einen Aufkleber, den man sich aufs Taxi kleben konnte: „Für fünf Mark bringen wir Sie um die Ecke.“ Das war ein erstaunlicher Spruch für so ein konservatives Gewerbe.
Viele Kollegen mögen den Fünfmarktarif nicht, ich behandle ihn wie eine Einstiegsdroge. All die Knauserer, die sich für vier Mark mit den anderen Knauserern in der stickigen U-Bahn drängen, werden von diesem Tarif früher oder später zum Taxifahren verführt. Und dann wollen sie bald mehr: Sich beispielsweise an einem vorfrühlingshaften Dienstagabend nach der Arbeit mit dem Taxi zu einem Rendezvous kutschieren lassen; leicht geöffnetes Fenster, perlende Musik, viel Platz, um sich entspannt zurückzulehnen; mit etwas Glück mit einem Fahrer, der weiß, was es heißt, ein Auto gleiten zu lassen; die Zeit bleibt stehen; die Stadt flimmert im Abenddunst vorüber . . .
Ich habe jedenfalls immer den zukünftigen Taxisüchtigen im Auge, wenn einer winkt, der nach Kurzstrecke aussieht. So auch bei dem verknautschten Typ mit Lederhose, Holzfällerjacke und nach hinten gegeltem Haar, der von weitem wie ein Trinker aussieht. Als habe er etwas zu verbergen, grummelt er leise, ohne ein höfliches Grußwort, was von „Kurzstrecke“, „Paracelsusbad“ und „Rauchen?“. Da ich gerade in einen komplizierten Gedanken über Idealismus und Moral verstrickt bin, passe ich mich seiner Wortkargheit gerne an und nicke nur bestätigend mit dem Kopf.
Er nuckelt an einer Zigarette. Im Radio läuft eine Schnulze aus dem vorigen Jahrhundert. „May be one day there would be a life in peace and freedom.“ Gesäusel. Mein schweigender Fahrgast ekelt sich spürbar. Ich drücke also die Johnny-Cash-Kassette hinein, und schon macht sich Erleichterung breit. Er rutscht auf seinem Sitz hin und her. „Friede, Freude, Eierkuchen, das is ja nich auszuhalten.“ Ich greife meine Überlegungen von vorhin wieder auf und versuche sie im Dialog anzuwenden. „Was meinst du damit? Dass es tatsächlich friedlich ist oder dass jemand davon singt?“ – „Na, die Realität is anders“, stößt er hervor. Ich hake nach. „Ja, klar, aber die Realität wäre noch ganz anders, wenn nicht ab und zu jemand ein Lied über Liebe und Frieden singen würde.“
Daraufhin schweigt er, und ich denke, jetzt hast du zu heilig gesprochen, das war’s. Johnny Cash singt von „God“. Der Typ kämpft sichtbar mit meinen Worten. Etwas in ihm malmt wie ein Mühlstein. Dann fängt er mit überraschend fester Stimme zu sprechen an. „Na, jetzt haste aber ’n Ding abgelassen. Ich sach dir mal was.“ Ich freue mich ausnahmsweise über den Baustellenstau, in dem wir gerade stecken. Er holt tief Luft. „Ich war 23 Jahre mit ’ner Frau zusammen, und wir haben immer von Liebe gesprochen. Beide. Wir ham ’nen gemeinsamen Sohn, der is jetzt 19 Jahre alt. Diese Frau hat mich acht Jahre in den Knast gebracht und mir einen Haufen Kohle abgenommen.“ Pause. „Ich hab nichts anderes gemacht als die Regierung auch. Ich hab Waffen vertickt. Hab sie in Belgien eingekauft und hier verkauft. Und sie hat mich verpfiffen. Ist als Kronzeugin aufgetreten und hat ’ne andere Identität angenommen.“ Pause. „Nach sechs Jahren hat sie mich im Knast besucht, weil sie kein Geld mehr hatte, um den Strom zu bezahlen. Dabei hatte sie mein Bankschließfach ausgeräumt, wo 350.000 Mark lagen. Davon wollt ich mir später mal ’n Boot kaufen, in der Türkischen Ägäis, und das Leben genießen.“ Pause. „Sie hätt ich mitgenommen. Sie war ja meine Frau.“ Kurze Pause. „Sie ist ihr ganzes Leben lang zu Hause rumgesessen und hat mein Geld ausgegeben. So viel zum Thema Liebe.“
Es klingt leidenschaftslos, wie er das sagt. Er stößt seine Geschichte in Brocken hervor, als hätte er an jedem einzelnen acht Jahre lang gekaut. Irgendwann ist kein Geschmack mehr drin. „Und, was machst du nun?“, frage ich ihn. „Baugewerbe. So halb legal. Wär ja blöd, wenn ich’s nicht noch mal probieren würde. Aber das Geld fließt nicht mehr so wie früher.“ Dann sind wir am Paracelsusbad. Er reicht einen Fünfer nach vorne, sagt: „Ich wünsch dir was“, verlässt schnell den Wagen und spuckt in hohem Bogen die Zigarette aus, die während der ganzen Fahrt in seinem Mundwinkel klebte.
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