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Der Wunderkanzler

Gerhard Schröder ist jetzt auch noch Träger des Medienpreises 2000. Über einen tollen Abend in der Stadt „with the beautiful casino“ (Bill Clinton)

„Gerhard Schröder ist der, der wo immer im Fernsehen ist“, sagt Jürgen Klinsmann

von JENS KÖNIG

Okay, ein paar Sachen sind im Vorfeld schief gelaufen. Boris Becker hat abgesagt, weil Sabrina Setlur kam. Jassir Arafat blieb zu Hause, weil er im Nahen Osten Frieden machen muss. Doris Schröder-Köpf konnte nicht kommen, weil sie erkältet ist (Gute Besserung!). Und Helmut Kohl hat auf die Einladung gar nicht erst geantwortet.

Aber dafür ist Sabine Christiansen da. Und Thomas Gottschalk. Und Veronica Ferres. Und Heidi Klum. Die Top 100 eben. Oder was man so Top 100 nennt.

Alles ist super. Karlheinz Kögel dreht gleich durch vor Freude. Dieser Abend ist eine „unglaubliche Veranstaltung“, sagt er. Ein „ungewöhnliches Highlight“. Ein „hochkarätiges Event“. Das Ganze ist wie ein „großartiger Film, der nur einmal läuft“.

Und damit herzlich willkommen bei der sinnfreiesten Veranstaltung des Jahres zwischen San Francisco und Nowosibirsk: der Verleihung des Deutschen Medienpreises! 20 wichtige deutsche Chefredakteure suchen jedes Jahr eine wichtige Persönlichkeit aus, damit wichtige Prominente sich in Baden-Baden ( „That’s the city with the beautiful casino“, Bill Clinton) treffen und wichtige Gespräche führen können. Diesmal sind sie alle gekommen, um Nelson Mandela anzufassen. Der ist zwar kein Achtundsechziger, aber er ist schon mal richtig gefoltert worden. Er hat gegen die Apartheid gekämpft und dafür 30 Jahre im Knast gesessen. Nicht mal Bill Clinton reicht da ran. Der ist auch gekommen.

Nelson Mandela hat für den Besuch extra seine Südostasienreise unterbrochen, erzählt Kögel. Mandela ist von Seoul nonstop nach Baden-Baden geflogen. Er möchte sich deshalb einen Tag im Schlosshotel Bühlerhöhe ausruhen. Am Donnerstag setzt er dann seine Asienreise fort. Bill Clinton ist bereits am Vormittag in Baden-Baden gelandet, so Kögel. Auf Wunsch des Expräsidenten darf kein Journalist mit ihm reden. Dafür muss sich Clinton auch nicht ausruhen, sondern reist schon am Mittwoch nach Kopenhagen weiter.

Wahnsinn!

Karlheinz Kögel, Chef der Hitparadadenagentur Media Control, Chef eines Reiseunternehmens, Chef vieler anderer Firmen, Chef einer fünfköpfigen Familie, indonesischer Honorarkonsul für Baden-Württemberg und das Saarland, ist der Veranstalter des Abends. Er ist so etwas wie der Gott von Baden-Baden, nur größenwahnsinniger. Er redet Clinton mit „Bill“ an und Mandela mit „Der den Ast zieht“; so soll er von den Xhosa, seinem Stamm in Südafrika, genannt werden. Kögel erzählt, dass er für den Abend extra eine Zigarrendreherin aus der Dominikanischen Republik hat einfliegen lassen. Für Bill. Und Gerhard.

Ach ja. Gerhard. Gerhard Schröder. Der Preis. Fast hätte es Kögel vergessen. Als er gefragt wird, wofür Schröder den Medienpreis 2000 eigentlich bekommt, stammelt er etwas von Kanzler und Medien und Macht. Er bittet, doch lieber die Jury zu fragen.

Das ist gar nicht so einfach. Weil einem niemand sagt, wer in der Jury sitzt. Nur Stefan Aust (Spiegel) und Helmut Markwort (Focus) werden namentlich genannt. Von den anderen heißt es nur, dass es „maßgebliche Chefredakteure Deutschlands“ seien. Aber eine Begründung der Jury gibt es. Schröder präge ein neues Deutschlandbild, steht darin. Der Kanzler zeige eine neue Form im Umgang mit Menschen, Medien und Macht. Er sei im Amt gewachsen. Na bitte!

Die Gäste des Abends sehen es etwas vielschichtiger. Warum Schröder der Medienmann des Jahres ist? Da müssen Sie die Chefredakteure fragen (Heribert Faßbender). Weil er Kanzler ist (Thomas Gottschalk). Weil er die besten Anzüge trägt (Ingolf Lück). Weil er ein Guter ist (Johannes B. Kerner). Weil er der ist, der wo immer im Fernsehen ist (Jürgen Klinsmann). Der Dolmetscher von Nelson Mandela fassst das ganze Lob prägant zusammen. Er übersetzt „Chancellor Schroeder“ einfach mit „Wunderkanzler Schröder“.

Da kann man glatt vergessen, dass es mal Zeiten gab, in denen Gerhard Schröder gar nicht so oft auf dem Bildschirm zu sehen war. Schröder hat einmal erzählt, wie es damals zuging, wenn er seine Mutter besuchte. Sie rief ihm schon im Treppenflur entgegen: „Gerd, du warst ja gestern im Fernsehen.“ Und kaum war er die Treppen hochgestiegen, flüsterte sie ihm zu: „Sag mal, wie kommst du da eigentlich rein? Kennst du da einen?“

Heute ist Schröder Kanzler und kennt so viele, dass sie sich danach drängeln, ihn loben und preisen zu dürfen. Da ist es folgerichtig, dass Schröders Laudator als Überraschungsgast des Abends angekündigt wird: Es ist Frank „Gaccat“ Schirrmacher, der Herausgeber der FAZ. Schirrmacher macht auf Walther von der Vogelweide, den größten Lober vor dem Herrn, und bescheinigt Schröder, Deutschland eine neue Modernität gegeben zu haben. Diese bestehe in der Überwindung der bürgerkriegsähnlichen Zustände der alten Republik. Aber Schirrmacher wäre nicht Schirrmacher, wenn er den Kanzler nicht gleich auch noch zum Interpreten der größten technologischen Umwälzung der Gegenwart, der Biotechnologie, ausrufen würde.

Gerhard „Genom“ Schröder gibt sich in seiner Dankesrede als würdiger Preisträger. Er könne der Jury zu ihrer Entscheidung nur gratulieren, und das aus vollem Herzen, sagt er und lächelt dabei. Der Medienkanzler offenbart in diesem einen Satz sein ganzes Geheimnis: Er inszeniert sich nicht nur, er ist gleichzeitig auch das, was er inszeniert. Er tut so, als ob er sich über den Preis freut – und freut sich wirklich über ihn. Gerhard Schröder ist ein Schauspieler seiner selbst, aber er ist auch Gerhard Schröder. Diese Identität von medialer Rolle und eigener Person verkörpert er perfekt, seit er vor ein paar Jahren in Dieter Wedels „Der große Bellheim“ den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder gespielt hat.

Bill Clinton kann darüber nur müde lächeln. In Amerika würde ihm, dem großen Schauspieler, niemand einen Medienpreis verleihen, sagt er. Er würde höchstens einen Preis dafür bekommen, dass er die Medien überlebt hat. Und Schröder ahnt, was alles noch auf ihn zukommt.

Plötzlich nimmt Clinton seine Freunde Gerd und Nelson an die Hand, und die drei verlassen den Saal. Im Restaurant Medici wartet die dominikanische Zigarrendreherin.

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