: Pädokriminalität in Frankreich
Die Dutroux-Affäre in Belgien und die Enthüllungen über den jahrelangen sexuellen Missbrauch in Kinderheimen im britischen Wales haben auch in Frankreich für mehr Sensibilität für das Thema Pädokriminalität gesorgt. Vor allem die Opfer und ihre Angehörigen trauen sich zunehmend, das Tabu zu brechen. Die angezeigten Täter finden sich vor allem im Milieu von zwei scheinbar sakrosankten Institutionen: katholische Kirche und staatliche Schule.
Seit Jahresbeginn muss sich die französische Öffentlichkeit mit immer neuen Fällen von – meist mit jahrelanger Verspätung aufgedeckter – Pädokriminalität auseinandersetzen. Die Chronik einer einzigen Woche im Februar:
In Colmar steht ein Priester, der jahrelang Kinder im Pfarrhaus missbrauchte, vor Gericht. Kein „Mitbruder“ hatte reagiert, als vor Jahren verdächtige Zeitschriften und Kassetten bei ihm auftauchten – auch nicht, nachdem die französischen Bischöfe im vergangenen Jahr in Lourdes die Pädophilie feierlich verurteilten.
In Cormeilles (Eure) erstatteten zwölf Familien Anzeige gegen einen Grundschullehrer, der jahrelang ihre Kinder missbraucht haben soll. Die Richter eröffneten ein Verfahren gegen ihn und gegen die Schulleiterin, die ihren Lehrer gedeckt hat – obwohl das französische Erziehungsministerium 1997 alle Mitarbeiter im Erziehungswesen per Rundschreiben zur Information bei Verdacht auf Kindesmissbrauch verpflichtet hatte.
In Quemener (Saumur) zeigen 27-jährige Zwillinge einen pensionierten Geistlichen an. Er soll die beiden jungen Frauen vor vierzehn Jahren vergewaltigt haben.
Bislang ist es in Frankreich grundsätzlich bei isolierten Gerichtsverfahren gegen einzelne Pädokriminelle geblieben. Die spektakulären Razzien, die die französische Polizei 1996 („Toro Bravo“) und 1997 („Ado 71“) vor laufenden TV-Kameras im Pädophilenmilieu veranstaltete und bei denen mehrere hundert Haushalte durchsucht wurden, hatten bislang keine juristischen Konsequenzen. Auch die bei dem inzwischen ermordeten niederländischen Pädokriminellen Gerrit Ulrich gefundene CD-ROM mit 470 Fotos von Kindern, darunter nach Aussage von Angehörigen mehrere Franzosen, hat bis heute keine systematische Fahndung in Frankreich ausgelöst.
Um das „Gesetz des Schweigens“ zu brechen, haben französische Angehörige und Kinderschutzorganisationen am 3. März eine marche blanche in Paris veranstaltet. Nach belgischem Vorbild.
Homepage von Selbsthilfegruppen, mit viel Informationen über Pädokriminalität und zahlreichen Links: www.bouclier.org
Die Familienvereinigung AFA, mit Aufklärung über Pädophilie und über bestehende Gesetze: www.pointdecontact.org
Die Homepage des französischen Erziehungsministeriums (www.education.fr) enthält unter anderem Rundschreiben an Lehrer und Schüler und die blaue Gratisrufnummer für Pädophilieopfer: 08 01 55 55 01. Die Suchmaschine der Site findet übrigens keine Einträge zum Stichwort „Pädophilie“. DOROTHEA HAHN
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