piwik no script img

„Big-Brother“ in Bremerhaven

■ Lehrer Jörg Heid, der seinen Beamtenjob für den RTL-Container hinschmiss, spaltet Bremerhaven / Bildungs-Stadtrat Wolfgang Weiss kritisiert Doppelmoral und Voyeurismus

Ende April soll er wieder da sein: Jörg Heid alias „Heidi“, der Lehrer aus Bremerhaven, der seinen Job für einen Platz im Container von RTL hinwarf. Seine Schüler haben nicht nur die Big Brother Show gesehen, als Jörg „drin“ war, sie wollen auch eine Schul-Party mit „Jörg“ organisieren. Es soll Autogramme geben, eine Diskussion mit dem ehemaligen Pauker und jede Menge live-Musik. Seine Schüler und seine „Band“ wollen mit ihm auf die Bühne.

„Wir würden das nicht machen, wenn wir das nicht gut finden würden“, sagt Schüler Marco B.. Dass unter den LehrerInnen seiner Schule die Stimmung auf den ehemaligen Kollegen nicht so gut ist, haken die SchülerInnen locker ab: „Viele von den Beamten sagen: Wie kann man nur ...“ Aber Jörg Heid hatte auch vorher schon mal gesagt, als Beamter werde er nicht enden, eher als Tauchlehrer auf Ibiza. Und das gefiel den Schülern immer. Als er in den Container ging, widmeten sie ihm eine Webseite: „www.joerg-im-haus.de“.

Auch im Magistrat scheinen eher die „Beamten“ zu sitzen. Einen „heftigen Streit“ gab es laut Protokoll, weil der Bremerhavener Bildungsstadtrat Wolfgang Weiss, Honorarprofessor in der Lehrerbildung an der Universität Bremen, in eine Interview erklärt hatte, er könne sich durchaus vorstellen, den schnell aus dem Container wieder hinausgefegten Lehrer wieder einzustellen. „Der hat auf Bremerhaven keinen Bock mehr“, wissen seine Schüler. Die Gefahr, dass er zurück wolle, sei gering.

Aber das hatte der Magistrat Bremerhavens gar nicht wissen wollen. Für den Fall des Falles stellte Bremerhavens Stadtregierung fest, so das Protokoll, „dass der Magistrat für eine Prüfung mit dem Ziel der Wiedereinstellung in den Schuldienst – in welcher Art und Weise auch immer – keine Basis mehr sieht“. Schon für die Prüfung nicht!

Weiss widersprach und warb für eine „etwas differenziertere Beurteilung“ des Falles. „Sind meine Vorbehalte gegen diese Sendung auch Auswirkung eines Generationeneffekts, wo die Älteren (das Durchschnittsalter der Magistratsmitglieder liegt wie das der Lehrerkollegen und auch mein eigenes über 50) entsetzt fragen: 'Wohin soll das alles noch führen?', und hat so ein Lehrer vielleicht einfach nur den besseren Draht zur Jugend von heute? Ist das ganze Thema nicht viel zu hoch gehängt?“ fragte Weiss in einer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme.

Für den Bildungsstadtrat hatte die Frage eine praktische Komponente: „Eine Bewerbung von Jörg Heid vorausgesetzt: Soll man tatsächlich lieber Unterricht ausfallen lassen als ihm, zum Beispiel. im Angestelltenverhältnis, Gelegenheit zu geben, seinen Beruf wieder auszuüben, in dem er bislang gute Leistungen zeigte?“ Und die andere, die medienpolitische Seite: „Ist es nicht widersinnig, ganz Deutschland mit hohen öffentlichen Subventionen zu verkabeln, das quotenfixierte Privatfernsehen mit seinem Masse-statt-Klasse-Programm machtvoll voranzutreiben, um dann – erschrocken über das eigentlich absehbare Ergebnis – nach Medien- und Leseerziehung in der Schule zu rufen, die diesem Treiben pädagogisch gegensteuern soll?“

Für Weiss ist klar: „Die Mehrheit in der Bevölkerung hatte, soweit journalistische Umfragen und Leserbriefe darüber Auskunft geben können, offenbar eine klare Meinung: Wer sich so verhält, ist als Lehrer ungeeignet.“ Es herrscht allüberall eine „moralische(?) Empörung, dass ausgerechnet ein Pädagoge bei solchem Flachsinn mitwirkt. Kann so jemand Vorbildfunktion für Schüler haben? Was sollen Schüler von Lehrern halten, die – statt die Spaß-, Voyeur- und Entertainment-Gesellschaft kritisch zu hinterfragen – sich bis zur Peinlichkeit ebendort exponieren? Hat die Schule nicht die Aufgabe, genau hier entgegenzusteuern?“

Weiss stellte aber gleichzeitig eine gehörige Portion Doppelmoral bei der moralischen Empörung fest: „Jedenfalls beziehe ich einen Großteil meiner seit kurzem beruflich benötigten 'Big-Brother-Infos' von Leuten, die das ganze Endemol-Spektakel 'entsetzlich' finden und nur mal zufällig 'reingezappt' sind, dafür aber erstaunliche Details wissen. Ein ähnlicher Effekt übrigens wie seinerzeit bei Clintons Lewinsky-Affäre, als der entsprechende Bericht ins Internet gestellt wurde und dessen einschlägige Seiten, natürlich die mit dem Sex, Rekord-Klick-Zahlen produzierten. 'Degoutant' sagten all jene, die darüber, woher auch immer, Bescheid wussten. Nur Reality-TV und der Katastrophentourismus seien noch schlimmere Auswüchse des allgemein wachsenden Voyeurismus.“

Der allgemein Abgelehnte war immerhin „einer unserer jüngsten Lehrer in Bremerhaven, ein musikbegeisterter Sport- und Englischlehrer, pädagogisch engagiert mit offenbar bestem Draht zu Kindern und Jugendlichen“.

Klar, auch dem Schuldezernenten hat es nicht gepasst, dass sein Lehrer „ziemlich kurzfristig verschwand und nicht mal das Schulhalbjahr abwartete“, das gab auch kräftig Unterrichtsausfall. Einerseits. Andererseits: „Schule war als Reparaturwerkstatt gesellschaftlicher Fehlentwicklungen schon immer überfordert, und im Medienbereich ist sie es ganz besonders: Hier ein paar Tausendmarkscheine, die der Schule für Medienerziehung rübergereicht werden, und da der Milliardeneinsatz der medialen Entertainmentindustrie – da bekommen Appelle an den pädagogischen Eros etwas pharisäerhaftes.“

Jörg Heid will nicht in den Bremerhavener Schuldienst zurück, wissen seine SchülerInnen. Er erspart dem Magistrat den Konflikt, den eine Wieder-Bewerbung zweifellos auslösen würde. Reichen vier Wochen RTL-Präsenz für den Start einer Musiker-Karriere? Wolfgang Weiss: „Ich persönlich drücke ihm dafür die Daumen.“

K.W.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen