TRIUMPH FÜR SPÖ UND GRÜNE: PROTESTKULTUR HAT WIEN VERÄNDERT: Abfuhr für Haider
Eine lokale Wahl? Eine Testwahl? Ein Denkzettel für die Bundesregierung? Ja, all das war der Wiener Urnengang auch. Aber das Ergebnis der Wiener Landtagswahlen vom Sonntag ist mehr als das: Es hat erstmals seit der Bildung der FPÖ-ÖVP-Koalition vor etwas mehr als einem Jahr ein Beispiel dafür geliefert, was möglich ist, wenn eine Widerstandskultur das Klima eines Gemeinwesens prägt.
Mehr als 47 Prozent erhielten die Sozialdemokraten, mithin die absolute Mehrheit an Mandaten; mehr als 12 Prozent bekamen die Grünen – zusammen erreichen sie 60 Prozent. Ein Erdrutsch, der noch dadurch unterstrichen wird, dass ÖVP und Freiheitliche – also jene beiden Parteien, die im Bund die Koalition bilden – zusammen gerade 37 Prozent erzielten.
Die rassistische und antisemitische Kampagne, mit der Jörg Haider Schwung in das Wahlkampffinale bringen wollte, brachte seiner Partei praktisch keine Stimmen, im Gegenteil – sie mobilisierte seine Gegner. Ein dramatischer Linksruck, der von den Demoskopen nicht annähernd prognostiziert worden war. Er sollte all jenen neunmalklugen Kommentatoren zu denken geben, die die Schüssel-Regierung in einer komfortablen und die Sozialdemokraten in einer strategisch schlechten Lage sehen. Das Wahlergebnis sollte aber auch den vielen Bedächtigen und Angstvollen – auch im Lager der Opposition – zur Einsicht verhelfen, dass Polarisierung Jörg Haider nur so lange nützt, wie man ihm nicht ebenso entschieden entgegentritt.
Dies ist gelungen: Im vergangenen Jahr hat sich eine lebendige außerparlamentarische Szenerie herausgebildet, der es offenbar gelang, das Klima in stärkerem Maße zu beeinflussen, als das selbst ihre Protagonisten zu hoffen gewagt hätten. Gleichzeitig hat auch die Wiener Sozialdemokratie einen bemerkenswerten Schwenk vollzogen. Bis vor einem Jahr wich die SPÖ noch vor den xenophoben Kampagnen der Freiheitlichen zurück und machte sich für eine restriktive Ausländerpolitik stark – jetzt hat sie sich in diesem Wahlkampf erstmals für die Rechte der Migranten eingesetzt und versprochen, sie würde in der nächsten Legislaturperiode das kommunale Wahlrecht auch für Nicht-EU-Ausländer einführen. Für diesen Kurswechsel wurde die SPÖ nun fulminant belohnt.
Fast zu fulminant. Denn es wäre die Aufgabe der Wiener SPÖ gewesen, bei einem entsprechend guten Ergebnis für Rote und Grüne erstmals in Österreich eine rot-grüne Landesregierung zu bilden. Jetzt kam’s so gut, dass die Sozialdemokraten allein regieren und die Grünen in ihrer Oppositionsmentalität verharren können. Ein Wermutstropfen, wenn auch ein kleiner. ROBERT MISIK
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