: Heizen allein mit Licht
Keine Stadt hat so zahlreich Passivhäuser gebaut wie Ulm: Sie decken ihren Energiebedarf komplett aus regenerativen Quellen. Konventionelle Heizungen lohnen sich nicht. 2.000 Mark pro Jahr sparen
Architekten, auf nach Ulm! Denn dort gibt es viel zu lernen. Schließlich ist nirgendwo sonst in Deutschland clevere Architektur so sehr verbreitet wie in der süddeutschen Universitätsstadt: Von derzeit fast 1.000 Passivhäusern bundesweit stehen 104 in einer einzigen Siedlung in Ulm – mehr als in jeder anderen Stadt. Als diese vor drei Jahren geplant wurden, gab es in Deutschland sogar erst 50 Objekte dieser Art.
Passivhäuser werden die Baukunst des 21. Jahrhunderts prägen. Denn das Passivhaus ist ein Gebäude, in dem man ein komfortables Raumklima ohne aktives Heizungs- und Klimatisierungssystem erzielt. Voraussetzung hierfür ist ein jährlicher Heizwärmebedarf von weniger als 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter, was umgerechnet 1,5 Liter Heizöl entspricht. Aber nicht nur dieses Limit gilt es einzuhalten. Auch darf der gesamte Primärenergiebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche in einem europäischen Passivhaus 120 Kilowattstunden für Raumheizung, Warmwasserbereitung und Haushaltsstrom nicht überschreiten. Damit wird in einem Passivhaus insgesamt weniger Energie verbraucht, als in durchschnittlichen Neubauten allein für Haushaltsstrom und Warmwasserbereitung. Diesen geringen Energiebedarf können Passivhäuser komplett mit erneuerbaren Energien decken.
Für die Stadt Ulm war der Weg an die Spitze der modernen Architektur ein einfacher: Er erforderte lediglich einen entsprechenden Beschluss des Gemeinderates. In einem Neubaugebiet, programmatisch „Im Sonnenfeld“ genannt, machte die Stadt den Bauherren schlicht die notwendigen Vorgaben. „Die Bauträger wurden verpflichtet, zertifizierte Häuser im Passivhausstandard zu bauen“, sagt Franz Popp, Umwelt- und Stadtplaner aus Ulm. Weil es städtisches Gelände war, konnte die Kommune diese Anforderung problemlos in die Kaufverträge aufnehmen. Hätte ein Bauträger das Zertifikat nach Fertigstellung der Häuser nicht erreicht, hätte er eine Vertragsstrafe bezahlen müssen: „Dafür mussten die Bauträger fünf Prozent der Bausumme als Bürgschaft hinterlegen.“ Das Konzept ging auf; alle Projekte erreichten das ambitionierte Ziel.
Und so sind in den vergangenen beiden Jahren am nordwestlichen Rande der württembergischen Universitätsstadt 104 dieser wegweisenden Häuser entstanden, gebaut von acht unterschiedlichen Bauträgern. Dank bester Isolierung sind sie so sparsam, dass die Bewohner weniger Energie für die Heizung benötigen als für Warmwasser. Der so genannte k-Wert der Fenster liegt bei 0,8, derjenige der Wände bei 0,12 bis 0,13. Der k-Wert (international zunehmend auch als U-Wert bezeichnet) beziffert den Wärmeverlust – er sollte daher möglichst gering sein; schon Beträge von 1,3 für Fenster und 0,4 für Wände gelten als gut. Damit benötigt jedes der Ulmer Passivhäuser bei 100 Quadratmeter Wohnfläche nur umgerechnet 150 Liter Heizöl im Jahr – zu wenig, als dass sich eine konventionelle Heizung noch lohnt. „Man könnte theoretisch die Häuser mit der Abwärme des Lichtes heizen“, sagt Stadtplaner Popp.
Also wurden neue Wege gesucht. Zu allererst ist ein wesentlicher Faktor aller Passivhäuser natürlich die passive Nutzung der Solarenergie – man fängt also mit Glasflächen an der Südfront möglichst viel Sonnenenergie direkt ein. Besondere Finessen lassen den Heizbedarf weiter sinken: indem beispielsweise die Frischluft Wärmeenergie aus der Abluft gewinnt. Mögliche Energieeinsparung: 80 Prozent. Der verbleibende Bedarf an Restenergie wird in Ulm von den Bauträgern jeweils unterschiedlich gedeckt. Zum Teil nutzen die Wohnungen Erdwärmetauscher. Andere werden über eine gemeinsame Holzpellet-Zentrale und eine 70 Quadratmeter große Sonnenkollektoranlage mit Nahwärme versorgt; dort deckt die Sonne mit Hilfe eines Pufferspeichers im Jahresmittel 35 Prozent des Warmwasser- und Heizbedarfes.
Auch wirtschaftlich gesehen ist das moderne Bauen längst attraktiv: Mit rund 4.000 Mark je Quadratmeter liegen die Preise der Ulmer Passivhäuser im ortsüblichen Rahmen. Und in einem neuen Wohngebiet im benachbarten Neu-Ulm, sagt Stadtplaner Popp, würden die Passivhäuser gar schon zu Preisen knapp unter 3.000 Mark je Quadratmeter angeboten.
Unterdessen kann auch das Passivhaus-Institut in Darmstadt belegen, dass durch die niedrigeren Energiekosten die monatliche finanzielle Belastung für Bauherren geringer ist als bei konventionellen Bauten. „Für Doppelhaushälften in Nürnberg haben wir das mal präzise durchgerechnet“, sagt Barbara Löbau, Sprecherin des Institutes. Schon im vergangenen Sommer ließ sich dort errechnen, dass die Bauherren selbst unter Berücksichtigung geringfügig erhöhter Finanzierungskosten durch den Passivbau jährlich 2.000 Mark sparen.
Seither sind die Energiepreise deutlich gestiegen – und damit auch die Einsparungen der Ökohäuser. Und da die Energiepreise langfristig mit Sicherheit weiter in die Höhe gehen werden, dürfte der eigentliche Run auf die Passivhäuser erst bevorstehen.
BERNWARD JANZING
Info: www.passiv.de, www.passivhaus.de (s. Kasten auf dieser Seite)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen