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Ruhe im Dreiecksland – Pekinger Studenten halten sich zurück

„Erst Höflichkeit, dann Gewalt“ lautet eine chinesische Regel. Doch obwohl die USA erst Gewalt anwenden und dann noch unhöflich sind, vermeidet China den offenen Konflikt

PEKING taz ■ Das so genannte Dreiecksland inmitten des weitläufigen Geländes der alten Peking-Universität ist nur eine kleine Verkehrsinsel, die mit Holzplatten für Wandzeitungen umstellt ist. Doch hier fühlt man den Puls des größten Volks der Welt. Denn wenn sich die Chinesen ärgern oder aufregen, sind die Elitestudenten der Peking-Universität immer die ersten, die der Volksseele Luft machen. Sie schreiben dann jedesmal viele provozierende Wandzeitungen – wie 1989 während der gescheiterten Demokratierevolte und wie während des Kosovo-Krieges 1999 bei den Straßenprotesten gegen die US-Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad.

Daran gemessen aber bewahren die Chinesen im jüngsten Streit mit den Vereinigten Staaten Ruhe. Keine Wandzeitung, keine politische Poesie, die sie traditionell schmückt, begleitet den andauernden diplomatischen Tumult um ein notgelandetes amerikanisches Spionageflugzeug und den abgestürzten chinesischen Starfighterpiloten Wang Wei. Wang wurde auch gestern noch im Südchinesischen Meer vermisst, weshalb sein Überleben nach dem Zusammenstoß seines Jets mit der US-Maschine vor nunmehr fünf Tagen aussichtslos erscheint.

Freund oder Gegner?

Der mutmaßliche Tod des Piloten hätte die Pekinger Studenten in Rage bringen können. Doch im Dreiecksland spricht gestern nur ein kleiner Veranstaltungshinweis für weltpolitische Aufmerksamkeit: „Amerika näher kommen: Freund oder Gegner?“ heißt ein noch vor dem folgenreichen Luftzusammenstoß für heute geplanter Vortragsabend. Sein Thema spiegelt die Unentschlossenheit vieler Chinesen gegenüber der einzigen Supermacht: Denn sie ist einerseits Freund – wie im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion so auch heute beim Eintritt in die Welthandelsorganisation und anderen notwendigen Reformen. Aber die USA sind auch Gegner: In der militärischen Allianz mit dem abtrünnigen Taiwan und dem ungeliebten Japan, die für die starke US-Präsenz im Pazifik sorgt und Spionageflugzeuge regelmäßig vor Chinas Küsten schickt.

Natürlich überwiegt in diesen Tagen, da die staatliche Propaganda den Spionagefall zum Souveränitätsstreit hochspielt, auch bei den Pekinger Studenten das Feindbild Amerika. Fast jeder ist empört. „Eine alte chinesische Verhaltensregel besagt: erst Höflichkeit, dann Gewalt“, zitiert die 21-jährige Bevölkerungspolitik-Studentin Wang Jing. „Aber die Amerikaner wenden erst Gewalt an und sind dann auch noch unhöflich zu uns.“ Damit meint sie die prompte Forderung des amerikanischen Präsidenten George W. Bush, die bislang in China festgehaltene 24-köpfige Mannschaft der US-Maschine sofort in die USA heimkehren zu lassen. „Sich zu entschuldigen wäre das Mindeste, was Bush zuvor tun kann“, findet Wang und ist damit ganz der Ansicht ihres Präsidenten Jiang Zemin, der genau das – eine Entschuldigung – von der Amerikanern verlangt.

Doch vielen geht die Forderung Jiangs nicht weit genug. „Die Haltung unserer Regierung ist zu schwach und wir wissen zu wenig. Viele Nachrichten sind gesperrt“, klagt Tan Lianrui, eine 30-jähriger Autoingenieur aus der Mandschurei, der an der Peking-Universität einen Fortbildungskurs belegt. Er vergleicht den Luftzwischenfall mit der Botschaftsbombardierung in Belgrad 1999, bei der damals drei Chinesen ums Leben kamen. „Den Amerikanern ist nur amerikanisches Leben wichtig, um das von Chinesen kümmern sie sich nicht. Das ist ihre barbarische Art.“ So redet heute noch mancher Chinese über Ausländer, die zu stolzen Vorzeiten alle als Barbaren galten. Doch was China heute gegen Amerika tun könnte, wissen auch Leute wie Tan Lianrui nicht, die jetzt schimpfen.

Zwischen Hang und He

Typisch für das chinesische Hadern zwischen Entwicklungsland- und Weltmachtstatus ist der Streit zweier Informatikstudenten auf dem Campus: „Man kann nicht immer nur nachgeben und Kompromisse machen. Die Amerikaner dürfen nicht alles bestimmen“, sagt der eine, Hang Te, 20. Sein Freund He Xiaolang, 19, aber entgegnet: „Bleib vernünftig! Solange wir in allen Bereichen schwächer sind, müssen wir uns an die Schikane gewöhnen.“

Noch scheint die Regierung in Peking unentschlossen, ob sie Hang oder He folgen soll. Eine erweiterte Politbürositzung hat am Montag angeblich eine harte Linie beschlossen. Aber Jiang Zemin ist dafür bekannt, dass er auf Dauer keinen ernsten Streit mit Washington will. Die zurückhaltende Reaktion der Pekinger Studenten wird ihn darin bestätigen.

Es könnte aber auch sein, der Eindruck trügt und die Studenten schreiben heute lieber E-Mails als Wandzeitungen. Ein Blick ins Forum der populären Internetseite http://www.chinaren.com zeigt seit Montag über 11.000 Diskussionsbeiträge. Fast alle sind Amerika feindlich gesonnen. „Vor zwei Jahren sind wir untätig geblieben, als die Amerikaner unsere Botschaft in Jugoslawien bombardierten. Wenn wir heute untätig bleiben, werden die Amerikaner in zwei Jahren Peking bombardieren“, schreibt ein anonymer Internetbenutzer. So wähnt sich mancher Chinese schon im nächsten Weltkrieg – und Washington hat allen Grund, weiterzuspionieren. GEORG BLUME

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