pds entschuldigt sich: Öffentliche Buße in Schrumpfform
Sich für eigene Untaten entschuldigen zu müssen kann schmerzhaft und peinlich sein, vor allem wenn man nicht weiß, ob der Adressat der Entschuldigung bereit ist, sie anzunehmen. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn man sich für etwas entschuldigt, wofür man (etwa wegen Gnade später Geburt) gar nicht verantwortlich ist. Und am besten läuft’s, wenn nahezu alle ursprünglich Beteiligten tot sind und der Rest sich nicht mehr erinnern kann. Das ist die öffentliche Buße in Schrumpfform, um ein Wort von Karl-Markus Michel zu gebrauchen.
Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER
Gabi Zimmer und Petra Pau haben sich jetzt für die Form entschuldigt, in der die Zwangsvereinigung von KPD und SPD vor 55 Jahren ablief. Bei wem sie sich entschuldigen wollen, bleibt unklar. Mit ihrer Entschuldigung für die Zwangsvereinigung erweitern sie lediglich die Entschuldigungsformel vom SED/PDS-Parteitag von Ende 1989 – und die richtete sich nun mal „an das Volk der DDR“. Bekanntlich ist mit der DDR auch ihr Staatsvolk untergegangen. Gilt die Entschuldigung nun nur für die Ossis als Nachfolgevolk oder für Ossis und Wessis? Egal, je unklarer der Adressat, desto besser für die Entschuldigung.
Zimmer und Pau wissen aber immerhin, wofür sie sich entschuldigen müssen: für „politische Täuschungen, Zwänge und Repressionen“, die mit der Vereinigung der beiden Parteien verbunden waren. Das war gut ausgedrückt, denn für Zwecke der Entschuldigung gilt: Es ist immer besser, den klaren Singular, zum Beispiel „Zwang“, zu vermeiden und stattdessen einen Plural zu setzen, der nichts anderes sagt als: „All diese Dinge kamen vor, aber auch das viele Gute.“
Hätten sich statt Petra Pau und Gabi Zimmer ein verantwortlicher SED-Funktionär und die 88-jährige SPD-Genossin aus Charlottenburg, die ein Opfer dieser Vereinigung wurde, zusammengesetzt, wäre das Ergebnis dieses Gespräches vielleicht schmerzhaft gewesen. Aber eine bei dieser Gelegenheit ausgesprochene Entschuldigung hätte uns angerührt. Sie hätte der Entschuldigung etwas von dem Sinn wiedergegeben, der in der Alltagsformel „Tschuldijung“ ebenso verloren gegangen ist wie in der gemeinsamen Erklärung von Gabi Zimmer und Petra Pau.
Politiker, auch linke, täuschen sich, wenn sie Entschuldigungen dieser Art irgendeine symbolische Bedeutung beimessen. Wenn die SPD mit der PDS in Berlin koaliert, wird es nicht um Symbole gehen, sondern nur um etwas sehr Krudes: um die Macht.
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