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Von Handys, die nicht klingeln

Das Bezirksamt Mitte bietet kostenlose „SOS-Handys“ an, mit denen Frauen die 110 wählen können. Vorbild ist Heidelberg, wo es solche Frauen-Handys seit 1999 gibt. Dort rettete sich eine Spaziergängerin per Tastendruck vor einem nackten Jogger

„Wenn Sie angegriffen werden, können Sie nicht rufen, ‚Haltet ein ihr Schurken‘, und dann telefonieren.“

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Brauchen Sie ein Handy? Eins, das nichts kostet vielleicht? Dann können Sie ab dem 16. Mai beim Rathaus Mitte anrufen. Einzige Voraussetzung: Sie müssen weiblichen Geschlechts sein. Einziger Nachteil: Mit den Handys, die dort vergeben werden, kann nur eine einzige Nummer gewählt werden: der Notruf 110.

Wer jetzt denkt, Mitte ist zu einem heißen Pflaster geworden, wo Frauen reihenweise angemacht oder überfallen werden, irrt. Trotzdem hat der Arbeitskreis „Frauen und Gesundheit“ im Oktober letzten Jahres begonnen, Handys zu sammeln, deren Verträge ausgelaufen sind, die aber über eine Notruffunktion verfügen. Diese werden Überprüfung ihrer Funktionsfähigkeit als „SOS-Frauen-Handys“ verliehen. Damit soll Frauen, die kein Handy haben, die Möglichkeiten gegeben werden, bei Gefahr für sich oder andere Hilfe zu rufen und zudem ihr Sicherheitsgefühl zu steigern.

Nach Angaben von Elisabeth Petry-Stahlberg von der Plan- und Leitstelle Gesundheit, die zusammen mit dem „Arbeitskreis“ die Aktion ins Leben rief, handelt es sich um reine Prävention. „Mitte ist nicht gefährlicher als andere Stadtteile.“ Bisher wurden 120 Geräte gesammelt, die von Privatpersonen und von Firmen stammen. Eine Auswertung bei Rückgabe der Geräte soll dann zeigen, inwieweit die mobilen Telefone das Sicherheitsgefühl von Frauen stärken.

In der Tat nutzen immer mehr Menschen ihr Handy, um die Polizei zu alarmieren. Nach Angaben der Polizeipressestelle wurden im vergangenen Jahr von den über 1,6 Millionen Anrufen, die unter der Nummer 110 eingingen, fast 550.000, etwa 33 Prozent, von Handys aus geführt. Polizeisprecher Norbert Gunkel sagte gegenüber der taz, dass das mit dem Sicherheitsgefühl „eine sehr subjektive Sache“ sei. Wie auch eine Schreckschusspistole oder ein Spray könne auch ein Handy ein trügerischer Schutz sein. Denn: „Wenn Sie angegriffen werden, können Sie nicht rufen, ‚Haltet ein, ihr Schurken‘, und dann telefonieren.“

Vorbild der Aktion in Mitte ist die Stadt Heidelberg, wo es bereits seit Dezember 1999 „SOS-Handys“ gibt. Von den gespendeten 300 Geräten ist derzeit etwa ein Drittel in Gebrauch – sowohl in öffentlichen Einrichtungen wie Frauenhäusern oder Kindertagesstätten als auch bei Privatpersonen. Das Amt für Frauenfragen weiß bisher nur von einem Fall, wo ein „SOS-Handy“ für Sicherheit sorgte. Eine Frau traf bei einem Waldspaziergang auf einen nackten Jogger und verständigte über die Notruftaste die Polizei.

Wer ein „SOS-Handy“ haben oder spenden möchte, wende sich an die Frauenbeauftragte von Mitte, Tel. 39 05-21 68/20 23

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