: Handelswege zwischen Kreuzberg und Ghana
Ein Königreich aus Stoff
Mittwoch und Freitag sind die Hauptarbeitstage für Makiba. Aber auch sonst liegt die Ghanaerin keineswegs nur auf dem Sofa, obwohl das Leben bzw. das Sozialamt diese Option durchaus für sie bereithielte. Die mit einem komischen Neuköllner verheiratete Afrikanerin befiel mit Mitte 20 ein schlimmes Hüftleiden, das sie über die Jahre nicht zuletzt durch jede Menge Cortisonspritzen enorm in die Breite wachsen ließ. An Jobs war nicht mehr zu denken, Makiba verfiel der Schmerzen und der Aussichtslosigkeit wegen dem Alkohol. Mit dem Mann kam es zu Prügeleien, bis er endlich auszog und Ruhe gab.
Wenig später wurde Makiba von einem anderen Mann schwanger. Sie wollte das Kind eigentlich abtreiben lassen, aber am Tag vor dem Termin bekam Makiba im Traum von ihrer beste Freundin eine Warnung – in Gestalt eines Stiers, der die Tür zu einer Damentoilette, auf der Makiba gerade saß, durchbrach und sie so von der Abtreibung abhielt. Das war für Makiba ein göttliches Zeichen. Sie behielt das Kind, hörte auf zu trinken, und auch die andere Prophezeiung ihrer Freundin wurde wahr: Nach der Geburt wurde sie fast wieder gesund. (Die Freundin stand übrigens mal wegen Hexerei in Moabit vor Gericht, weil ein Geschäftsmann der festen Überzeugung war, ihr Fluch habe zu seinem Bankrott geführt ...)
Makiba brachte Fuku zur Welt. Als er drei Jahre alt war, beschloss Makiba, der Zeitpunkt für eine Reise nach Ghana sei gekommen. Elf Jahre hatte sie – aus Geldmangel und aus Scham über ihre trübsinnige Lage – ihre Familie nicht besucht, aber jetzt hatte sie ja den herrlichen Sohn vorzuweisen und konnte außerdem wieder passabel laufen. So verschwand Makiba. Als sie nach ein paar Wochen wieder zurückkam, schien sie wie aufgeblüht, was nicht nur an ihren neuen, farbenprächtigen Gewändern lag. Eine ihrer vielen Schwestern hatte Makiba nämlich auf eine großartige Idee gebracht: Ein Handel sollte ins Leben gerufen werden. So weite Reisen wie von Berlin nach Insu – Makibas Heimatstadt, etwa 300 Kilometer östlich von Accra gelegen – dürften nicht zum reinen Vergnügen gemacht werden. Fortan konnte Makiba alles gebrauchen. Sie sammelte abgelegte Kleidung, Zeitungen, vorzugsweise schönes glattes Spiegel-Papier (zum Einpacken), Babykleider, Stoffreste, alte Spielsachen, alles.
Nach ein paar Monaten war es so weit: Makiba organisierte über einen afrikanischen Lebensmittelhändler einen Spediteur, der das Zeug – ein ganzer Container war voll – tatsächlich nach Insu brachte. Dieser erste Versand war wohl aus Unerfahrenheit noch nicht so richtig lukrativ, aber als Makiba im Winter darauf wieder nach Insu fuhr, bekam sie von ihrer Schwester Anweisungen, was genau sich auf dem Markt von Insu zu welchen Preisen verkaufen lässt. Natürlich nicht diese tristen grauen, monochromen Klamotten, wie der Berliner sie bevorzugt, sondern schöne bunte Sachen, die gerne auch noch glitzernde Applikationen haben dürfen.
Makiba begann fortan – Fuku ging inzwischen in den Kindergarten – mit ganz anderen Augen durch Berlins Bekleidungsläden zu gehen. Sie entwickelte einen echten Spezialblick für spottbillige, extravagante Kleidung. Heute ein nagelneues Blouson für 7,95 DM beim Karstadt-Schnäppchenmarkt, morgen umwerfend elegante Damenroben aus Tüll vom Kotti für 14,95 DM, dann blumenverzierte Badelatschen für 2,75 DM von Schlecker ... Ruhe- und rastlos durchkämmt Makiba inzwischen fast täglich die einschlägigen Shops. Logischerweise lagern in ihrer Einzimmerwohnung riesige Berge schillernder Stoffe, die peu à peu in Pappkartons sortiert und bis unter die Decke gestapelt werden.
Richtig hell wird es im Zimmer nicht mehr, und kurz vor der jeweils nächsten Containerladung hat Fuku auch kaum mehr Platz zum Spielen. Zumal mittwochs und freitags, wenn er mit seiner Mutter und ihren beiden Freundinnen zum Maybachufer-Markt geht. Dort ersteigert Makiba mit dramaturgischem Beistand von Josie und Meda Anzugstoffe für Herren zu sensationellen Tiefstpreisen. Die Ware wird anschließend daheim mit wortgewaltigen Kommentaren noch einmal ausgebreitet und befühlt. Dann offeriert Makiba ihren Helferinnen die jeweils neueste Folge einer Art „Lindenstraße“ aus Ghana, wo aber ungleich heftiger geliebt, gemordet und gerächt wird, oft spielen auch ganze Sequenzen im Jenseits. Dazu gibt es Fanta und Sardinen, manchmal sogar mit Pommes.
Vor ein paar Tagen rief Makiba an und bat sofort um einen Besuch. Josie und Meda saßen auch schon da und bestaunten die Fotos, die soeben aus Insu eingetrudelt waren. Auf den Bildern war deutlich zu erkennen, was Fuku stolz „our castle in Ghana“ nannte. Ohne diese Erläuterung hätte man das Gebäude im Rohbau vielleicht eher für eine Garage gehalten, aber doch eine sehr große. Jedenfalls ist es wunderschön mitanzusehen, wie sich da aus einer kleinen Kreuzberger Hinterhofwohnung mit nichts als ein bisschen Händlergeschick ein ganzes Königreich in Ghana entwickelt. DOROTHEE WENNER
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